Foto: Andere Leute im Osnabrücker Emma Theater © Theater Osnabrück
Text:Jens Fischer, am 31. Oktober 2023
Dorota Masłowskas Roman „Andere Leute“ wurde nun mit viel Ironie und Ensemble-Energie am Theater Osnabrück auf die Bühne gebracht. Dabei begegnen dem Publikum nicht eben sympathische Zeitgenossen, sondern eher eine Parodie der geistig Unbehausten.
Sowohl am unteren wie oberen Ende der Einkommenspyramide einer demokratiemüden Gesellschaft wird mit Drogen, Konsum oder Sex nach Zerstreuung und Betäubung gesucht, ohne dass sich noch Glücksgefühle einstellen. Hochgelobt wurde Dorota Masłowskas sprachbildmächtig den rauen Jargon der Abgehängten zu einer poetischen Kunstsprache hochtunender Roman „Andere Leute“. Der klingt wirklich verzweifelt schön: „Weit draußen glänzt Warschau wie Hundeklöten. Er konnte endlos zuschauen, wie die Plasmabildschirme in den Hochhausfenstern rhythmisch Lichtblitze abschießen. Konnte die kleinen menschlichen Dinger sehen, eins über das andere gestopft wie in einem Schrank, die Orgasmen einer Mieze gegen den Typen, der erfolglos gegen den Krebs ankämpft, das Panorama des Lebens, 21. Jahrhundert, 3-D-Brillen und immer noch trennt nur eine Rigipswand das Waschen vom Sterben, vom Husten das Vögeln.“ Nun feierte diese Atmosphäre ihre deutschsprachige Erstaufführung am Theater Osnabrück. Regisseur Lorenz Nolting hat eine eindeutige Sichtweise und setzt auf ins Groteske gesteigerte Komik.
Mit Vollgas serviert
Der Bühnenboden: ein Blumenwieseteppich. Ironie! Dazu trägt das vierköpfige Kampfsportlerteam des Alltags lässige Boxertraining-Outfits und agiert wie eine gute Fußballmannschaft nicht abwartend, um in Ruhe die eigene Spielweise aufbauen zu können, sondern geht sofort in die Offensive. Gesprochen wird, als müsste auch Reihe 14 im 3. Rang noch jedes Wort lautstark verstehen, gespielt wird aber im kleinen Emma-Theater, wo es nur sieben Reihen auf der Raumbühne gibt. Dort tummeln sich der Gelegenheitsdealer und rotzige Möchtegern-Rapper Kamil, die „Rossmann“-Verkäuferin Anetta als Möchtegern-Aufsteigerin, der irgendwie reiche, fremdgehgeile Manager Maciej und seine ständig mit Auf- und Abputschmitteln bedröhnte, sich allein daheim langweilende Gattin Iwona (Jasmina Musić). Alle sind grenzenlos unzufrieden und gnadenlos selbstgerecht, weswegen der aggressive, mit Vollgas servierte Dauerregungstonfall bestens passt. So unter Druck steht das Quartett, dass manchmal auch alle durcheinanderreden. Wer gerade nicht spricht, der hüpft, klettert, guckt oder tobt herum. Zu erleben ist eine kollektive Wut-Zorn-Hass-Sexlust-Suada als Vollgas-Schreitheater mit lustigen kleinen Schnörkeln. Wenn zwei sich Worte entgegenschleudern, also kommunizieren wollen, führen sie auch mal ein paar Tanzschritte miteinander aus. Wenn das Stichwort Tauben fällt, fangen alle an zu gurren. Wenn Maciej mit seinem Angeberauto unterwegs ist, rollt Darsteller Thomas Kienast mit einem Kettcar herum.
Alternative Ruhemomente
Der Vorteil des Regieansatzes: Ist die Intensität von Beginn so hoch, sind die wenigen ruhigen Augenblicke besonders wirkungsvoll, wenn mal ganz andere Gefühle ins Spiel kommen – etwa als Maciej seinem Kind hinterherschaut oder Iwona wirklich Nähe zu Kamil herstellen will. Oder wenn das Ensemble wie wilde Tiere aufs Publikum zukriecht, bedrohlich daran erinnernd, dass die Dargestellten eben nicht nur die Anderen, sondern uns allen gefährlich nah sind. Nachteil des Regieansatzes: Das unbändige Energielevel ist nicht 90 Minuten gleich hoch zu halten. Wenn Anetta (Rebekka Biener) nach einem Streit aus dem Fenster stürzt, findet die Aufführung zu einem eindrücklich traurigen, wenn auch plakativen Schlussbild. Das Licht wird gedimmt. Die Luft ist raus. Aber Nolting gibt keine Ruhe, beginnt neu mit dem Spiel und widerspricht seiner bisher mit bösem Witz über, nicht mit den lieblosen Figuren lachenden Inszenierung. Mit einem sensibel leise prononcierten Sehnsuchtsmonolog sollen nun Sympathien eingesammelt werden für Kamil (Hans Christian Hegewald), weil der allem Scheitern zum Trotz doch so innig hofft, morgen, im Morgenrot des Scheinwerferlichts endlich sein Innerstes nach außen zu reimen für ein Rap-Album. Aber da hat der Abend eben längst die Härte seines Antriebs und die Vehemenz der Dringlichkeit verloren. Summa summarum aber: begeisterter Applaus.