Foto: Nino Namara (Eddie Mofokeng) ist nur Mizzis zweite Wahl (Loreley Rivers). © Tim Müller
Text:Roland H. Dippel, am 23. Februar 2025
Intendant Oliver Graf inszeniert am Theater für Niedersachsen Oscar Straus‘ Operette „Hochzeit in Hollywood“ im Cabaret-Gewand. Zwischen Drama, Glamour und Showiz geht es um große Gefühle, die sich gesellschaftlichen Ansprüchen entgegenstellen müssen.
Eine Protestkundgebung unter Mitwirkung von AfD und CSU gegen eine Lesung der Dragqueen Vicky Voyage in Puchheim vor wenigen Tagen bestätigt die Relevanz der jüngsten Operetten-Neuproduktion des Theaters für Niedersachsen. Mit Dragqueen Loreley Rivers in der Hauptpartie der aus Wien in die USA emigrierenden Operettensängerin Mizzi erlebte Oscar Straus‘ vergessene Operette „Hochzeit in Hollywood“ ein Comeback – aufgemöbelt zur hyper-theatralen, virtuellen Fiktion einer Liebe, wie sie überall möglich sein sollte.
Die Originalfassung spielt an einem kleinen Theater, das – Selbstreferenz darf sein – Straus‘ Millionenerfolg „Ein Walzertraum“ auf den Spielplan setzt. Intendant Oliver Graf und das Ensemble des Theaters für Niedersachsen überspitzen in ihrer rauschhaften Operettenvergegenwärtigung dieses „Alles Theater!“ zu „Life is a Cabaret“. Legitim: Die Migrationsbewegungen des russischen Adels in den 1920er Jahren, die Verbreitung des Jazz im deutschsprachigen Raum und die erste sexuelle Revolution machten das musikalische Unterhaltungstheater bunt und explosiv. Mit Anspruch, Lust und politischen Hintergedanken war das alles in dieser Premiere zu erleben. Aus dem Textbuch von Leopold Jacobson und Bruno Hardt entstand eine fluide Traumfabrik mit sich auflösenden Kategorien des Frau- und Mannseins. Die dunkel lockende Ausstattung von Sebastian Ellrich steigert sich zum Traum in Schwarz, Weiß, Gold.
Drag goes Operetta
Spielbehauptung ist, dass die dargestellte Bühnenwelt erst in Europa, dann in den USA von der Dragqueen Mizzi dominiert wird. Sie soll wegen bürgerlicher Ausgrenzungsschablonen auf den Staatssekretär-Sohn Felix verzichten. In den USA treffen beide wieder aufeinander – die erfolgreiche Provinzdiva und der abgesunkene Felix, der sich als Escort und Statist verdingen muss. Ähnliches gab es vor kurzem in Juana Inés Cano Restrepos Inszenierung von „Die Bajadere“ an der Staatsoperette Dresden.
Die Standeshürden der verhinderten Paare interessieren an den Entdeckungen von lange vernachlässigten Operettenerfolgen derzeit weniger. Pikant und ernst wird es jetzt allerdings in den Konflikteskalationen durch gut gemeinte, aber besitzsansprüchelnde Übergriffe von Maharadschas und anderen Funktionären auf selbstbestimmte Frauen, die ihre Bühnenberufung als emanzipiertes Refugium und nicht als Stigma begreifen. So auch in der Entdeckung von „Hochzeit in Hollywood“, bei der man die Versprechungen „Glamour, Skandal und Drama“ mehr als reichlich einlöst.
Operette pur
Liebe und Flirt wirbeln in Dauerschleife, aber auch im politischen Diskurs. Die Figuren kommen nur äußerst schwer zusammen, weil der Katechismus zur persönlichen, identitären und sexuellen Selbstbestimmung derzeit so kompliziert ist wie früher die Standesschranken. Vorurteile und Geschlechterrollen eines toxischen Patriarchats werfen noch immer Schatten über den nicht-binären Operetten-Traumspielraum.
Der Chor (Einstudierung: Achim Falkenhausen) ist eine geschlechtsneutrale Gruppe mit Fräcken und Fliegen, die tfn_philharmonie unter Florian Ziemen dazu eine Wucht. Alle schmachten im Wiener Idiom und heizen die Amerikanismen auf wie für die Goldene Musical-Ära am Broadway in den 1950ern. Annika Dickel hetzt die Showgirls und Showboys durch ein sehr geordnetes Nachtleben.
Gold für Loreley
Diese Operette hat nur einen einzigen Schauplatz: Ihren eigenen Tempel aus Opulenz, Bravour und Sophistication. Diesem dient auch das Ensemble. Loreley Rivers bringt alle liebenswerten Gesetzmäßigkeiten des Travestie-Theaters ins Spiel. Sie ist eine echte Dame, die ihre Rocksäume gern mit Abwässern der Gosse tränkt. Sie ist der Magnet und Motor für das Spiel drumherum und setzt damit sogar die im Rollendoppel aus der Figur des Mr. Widdels und Conférencier zusammengesetzte Partie von Neele Kramer hinunter auf’s Silbermedaillen-Podest. In „Cabaret“-Vorstellungen ist der Conferencier oft das Zentrum, hier darf es nicht so sein. Die emotionalen, strukturellen und formalen Gegebenheiten entwickeln eine ganz eigene, lustvoll-schmerzliche Dynamik. Schmerzlich gilt vor allem für den von Eddie Mofokeng mit Groove und Gefühl dargestellten Nino Namara, Mizzis temporären Ersatz-Liebhaber.
Sonja Isabel Reuter (Garderobiere/Bessie) gibt eine Lernbeflissene in Sachen Showbusiness, Andrey Andreychik (Präsident/Teddy Vandermeere) setzt seine Rollen an eine Schnittstelle von Mode-Star à la Andy Warhol und Bankdienstleister. Jan Kämmerer macht vor allem als Regisseur mit feinen karikierenden Einheiten beste Figur. Sie alle inthronisieren und verteidigen das „I Am, What I Am“. Aber die Produktion zeigt auch, dass die erotische Selbstauslieferung eine ernste und in der Permissivität keine leichtere Sache wird. Felix bleibt am Ende allein auf der Bühne, da wirkt das letzte Oscar-Straus-Lied fast zynisch. Dabei ist es an diesem Abend der Tenor Julian Rohde, der die schönsten Lieder und Schlager singen durfte. Post coitum omne animal triste est. Das gilt auch für Operette – gerade, wenn sie besonders betörend, lockend und verheißungsvoll ausfällt wie hier in Hildesheim, wo die „Hochzeit in Hollywood“ gar keine richtige ist. Typisch Traumfabrik!