Foto: Ahmad Kiki in der Hauptrolle, das Stadtensemble und der Posaunenchor Margaretenkirche in „Das andere Ende der Hoffnung" in der Außenspielstätte am Limberg © Joseph Ruben
Text:Jens Fischer, am 12. Juni 2022
Das Theater Osnabrück versteht sein Angebot als transkulturell. Was die verhandelten Themen und Stoffe wie die Sichtbarkeit eines breiten Gesellschaftsspektrums auf den Bühnen betrifft. Zudem ist Syrien für diese Spielzeit das Partnerland. Auch wurde versucht, die zu Saisonbeginn gegründeten Stadtensembles der Bürgerbühne möglichst divers aufzustellen. Dass für eine Kooperation mit dem Schauspiel ein Film von Aki Kaurismäki in den Fokus kam, erscheint da nur logisch: „Die andere Seite der Hoffnung“ (2017) öffnet die üblichen Verlierer-Geschichten des Autorenfilmers für die Probleme geflüchteter Syrer. Hauptfigur Khaled schleicht in Helsinki als blinder Passagier von Bord eines Schiffes, kämpft für sein Aufenthaltsrecht gegen eine an Menschen nicht interessierte Bürokratie, Justiz und Polizei, muss also in die Obdachlosigkeit flüchten vor der Ausweisung und entgeht ihr schließlich dank des wie üblich märchenhaft menschlich handelnden Kaurimsäki-Personals. Die düsterbunten, atmosphäresatten Bilder, das Retro-Design, der trockene Humor und pragmatische Fatalismus der Figuren sowie ihre auf das Allernotwendigste reduzierten Dialoge ermöglichen eine beiläufige wie existenzielle Erzählweise. Diese als Tragikomödie für die Bühne zu adaptieren oder als absurdes Theater zuzuspitzen, ist schon vielfach gelungen.
Steril statt schäbig
In Osnabrück nimmt Regisseur Jakob Fedler umständegemäß aber erstmal ästhetisch Abstand davon. Nicht in einer finsteren Kellerbühne, nicht in einem in die Jahre gekommenen Saal an einer schäbigen Ecke der Stadt, sondern weitab in einem lichtdurchflutet sterilen Multifunktionsraum mit Tribüne findet die Premiere statt – auf dem Osnabrücker Limberg. Selbst Taxis finden die Spielstätte nicht im Irgendwo des 70 Hektar großen Areals, einst Wehrmachtsgelände, später vom britischen Militär genutzt. Jetzt sind fast alle Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Ziemlich einsam in den Abrisshalden versteckt sich das Limberg-Theater genannte ehemalige Offizierscasino.
Virtuos minimalistisch gelang Kaurismäki die erste Szene des Films: Ein Mann packt seine wenigen Sachen, nimmt den Ehering vom Finger und gibt ihn zusammen mit den Hausschlüsseln seiner Frau, die legt den Ring in den Ascher, drückt die Zigarette darin aus und gießt sich noch einen Wodka ein. Kein Wort, nur Kälte. Auf dem Limberg schlurft nun die Frau durch den Saal, der Mann legt seine Sachen auf einen Zuschauerstuhl, blickt einmal ernstböse – und erpokert sich ein wenig Geld, um zukünftig Restaurantbesitzer sein zu können. Die Lakonie von Trennung und Aufbruch vermittelt sich nur ansatzweise. Da die Szenenfolge stilistisch und emotional nicht wie im Film mit verlangsamtem Ernst zu einem künstlichen Universum wirkungsvoll zusammengebunden ist, läuft sie immer wieder leer und die verzweifelte Komik rutscht in die Comedy-Lächerlichkeit.
Anpassungswut, Integrationswillen, Kriegstraumatisierung
Auf die acht Akteure des Stadtensembles, die diverse Nebenrollen und als Chor den irakischen Khaled-Freund aus dem Flüchtlingsheim spielen, reagieren die fünf Profimimen unterschiedlich. Die einen sind ankernder Ruhepol, andere fühlen sich zu kauzigen Soli animiert oder passen sich dem Laienspielduktus an. Herausragend agieren Ronald Funke, der stoisch die stolz mürrische Traurigkeit des Eheflüchtlings gibt, und der in Damaskus aufgewachsene Ahmad Kiki. Er spürt mit Emphase der Anpassungswut, dem Integrationswillen und der Kriegstraumatisierung des Protagonisten nach. Nur hängt die Regie allzu sehr am Drehbuch und wagt nicht den Sprung ins Offene, um ein differenziertes Bild der komplizierten Geflüchteten-Lage zu entwickeln.
Verlegt wurde die Handlung von Helsinki nach Osnabrück. Weswegen auch nicht mehr skandinavische Schlager die Trostlosigkeit kommentieren, sondern der Posaunenchor Margaretenkirche die deutsche Blasmusikseele repräsentiert und gleichzeitig die Vielfalt der auf der Bühne sichtbaren Menschen erweitert. Für den transkulturellen Ansatz begleiten die Musiker auch arabischen Gesang und für die inhaltliche Aussage das Lied „Beamtenwillkür treibt mich fort von hier“.
Berührend wirkt dann doch das Ende. Nachdem sich das anfangs getrennte Paar wiederbegegnet, was in traurigschön unsicherer Zartheit gespielt wird, erzählt ein Stadtensemble-Mitglied seine Fluchtgeschichte, die der Khaleds sehr ähnlich ist, und beglaubigt so die künstlerische Fiktion mit seiner Biografie, ja, er verschafft gleichsam im Nachklang der Produktion den Respekt, den sie verdient.