Foto: Verdis Rigoletto an der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Text:Wolf-Dieter Peter, am 17. Dezember 2012
„Hofschranzen, verdammte…“ – so verflucht der bucklige Hofnarr Rigoletto die Höflinge, die seine Tochter Gilda einem lustorientierten Herzog als Spielzeug zugeführt haben. So etwas musste Giuseppe Verdi an der Zensur vorbeischleusen und in eine ferne Renaissance verlegen. Natürlich lässt sich dieser Klassiker aktualisieren: Sind heutzutage nicht Pressesprecher, Marketingstrategen, PR-Fuzzis und sogar hochqualifizierte “Spin-Doctors“ willfährige Handlanger von Bossen, Vorsitzenden und CEOs? Bis hin zu organisierten Sex-Eskapaden? Das wäre also eine reizvoll aggressive Ebene für eine Neuinszenierung in Kostümen von Heute gewesen – denn das ist die durchgängige Stilebene, die das Team um Regisseur Árpád Schilling grundsätzlich gewählt hat. Doch das wiederholte Deuten seiner Bühnenfiguren auf das Premierenpublikum der Schönen, Reichen und womöglich Mächtigen im mehrfach hell erleuchteten Nationaltheater stellte keinen Bezug her, von Attacke ganz zu schweigen.
Schilling sieht Rigoletto erklärtermaßen als durchgängigen “bad guy“ – obwohl die Musik mehrfach eine andere Seelensphäre klingen lässt. Er zeigt ihn folglich als autoritären Vater ohne Buckel: Rigoletto ist auf seine Tochter als einzigen Lebensinhalt fixiert, was diese letztlich in eine tödliche Liebesfixierung auf den Herzog treibt. So singt sie ihre Liebesträumerei um den falschen Herzogsnamen, ihr „Caro nome“ vor einer Tribüne voller edel hellbeige gekleideter Männer, kuschelt sich an den ein oder anderen hin und schläft selig auf dem Schoß von mehreren ein. Da hat sich Regisseur Schilling dann wohl doch in ganz spezielle, zumindest fragwürdige Psycho-Studien verstiegen – und niemand in der Dramaturgie der Staatsoper hat ihn gebremst. So sitzen diese Höflinge und viele ihnen ähnliche Kleiderpuppen auf einer bühnenbreiten, hellen Tribüne dem Publikum gegenüber und versuchen so etwas wie eine Orgie herbei zu singen – was prompt misslingt. Später zerreißt diese Tribüne in der Mitte und wird mehrfach hin- und hergeschoben. Dann gibt es einen durchsichtigen Schleiervorhang, mal halbrund, mal viereckig gehängt, darin ein Sitzrad im Stil des 19.Jahrhunderts und am Ende ein nachtschwarzes Bühnengeviert. All das beschwört weder Imaginäres aus Rigolettos manischem Hirn noch Ausgeburten seiner Psyche. Auch eine herein geschobene, sich aufbäumende Pferdeplastik rettet da nichts. Schilling hätte für seinen Ansatz neben einem Bühnen- und Lichtzauberer vor allem selbst über phänomenale Personenregie verfügen müssen. Seine Hauptfiguren wenden sich aber meist nur direkt ans Publikum – doch die musikdramatische Kommunikation bleibt aus. Folglich blieb auch Verdis bittere Anklage von gesellschaftlichen Missständen ortslos, spannungslos, erschütterungslos – und wurde zurecht niedergebuht.
Aber da waren ja noch Verdis hochtheatralische Musik, seine mal marktschreierischen, mal herzanrührenden Gesangspartien. Leider kam Franco Vassallos Rigoletto nicht über italienisches Mittelmaß hinaus. Dem Killer Sparafucile von Dimitry Ivashchenko fehlte abgründig schwarze Bassestiefe. Ansonsten Sängerglück: Nadia Krasteva war eine äußerlich wie vokal verführerische Escort-Lady Maddalena, der jedermann gerne erlegen wäre; Patricia Petibon gelang nach all ihren neurotischen bis hysterischen Bühnenweibern eine auf normales Leben und Lieben neugierige junge Frau Gilda, der die Regie zwar ihr Liebesopfer nicht glaubhaft inszenierte, die aber mit süß schwingenden Bögen und guten Koloratur-Ketten überzeugte; mit Joseph Callejas Herzog stand ein wuchtiges Testosteron-Mannsbild auf der Bühne, dem man auch die vokale Betörung abnahm. Im Orchestergraben langte Dirigent Marco Armiliato zügig und kräftig hin, was zu überdeutlichen Chor-Wacklern führte, dem Abend etwas von dem Feuer gab, das in Verdis Musik steckt – aber der Bühne fehlte. Hoffentlich bringen die zwei kommenden Verdi-Premieren Vitaleres für 2013, so dass auch in München gilt: Evviva Verdi!