Foto: Fast eine Funkoper: Jessica Aszodi (Vordergrund) und Ensemble. © Armin Smailovic
Text:Klaus Kalchschmid, am 25. Juli 2020
Das erste Projekt der diesjährigen Münchner Biennale für neues Musiktheater, die dank Corona nicht im Mai konzentriert stattfand, sondern als „dynamisiertes Festival“ an verschiedenen Orten über einen größeren Zeitraum ausgedehnt wird, war ein Hörspiel (M 1 nach dem Film „M –Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang, fortgesetzt im Herbst am Residenztheater in szenischer Form). Dann fand beim Koproduktionspartner in Karlsruhe eine echte Premiere statt wie ursprünglich geplant („Subnormal Europe“ im Mai/Juni) und im November kommt „Once to be realised“ beim Berliner Koproduktionspartner heraus. Was vom Konzept des Festival-Themas „Point of new return“ übrig bleibt, was sich wandelt, wird man sehen und hören.
In München gab es nun „ACH! Fast eine Funkoper“. Der Titel war auch vor Ausbruch des Virus schon so formuliert, nur der Ort des Geschehens (ursprünglich das Schwere Reiter mit Publikum auf einer Tribüne) hat sich geändert. Dreimal so viel Platz ist nun, und so sitzen 30 Zuhörer mit 2,5 Metern Abstand nach allen Seiten auf ihrem Drehstuhl, während mehr als doppelt so viele Musiker und Sprechende/Singende an den Rändern platziert sind, sich mal nach draußen bewegen oder an der Stirnseite kumulieren – immer mit dem gebotenen Abstand (Raum und visuelle Dramaturgie: Doris Dziersk).
Ein Schauspieler (Simon Brusis) führt eloquent durch den Abend, Jessica Aszodi dominiert ihn als agiler Sopran; Akkordeon (Nikola Kerkez), E-Gitarre (Steffen Ahrens), der Schlagzeuger Mathias Lachenmayr und ein einsames Englischhorn bieten wenig, fast improvisatorische Musik, aber eigentlich ist das Ganze ja „ein Partizipationsprojekt von und mit Kursteilnehmer*innen der Münchner Volkshochschule“. Thema ist im weitesten Sinne Heimat und die Rückkehr an den Ort der Kindheit, es geht um „Orte und Räume, die in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für jeden einzelnen von Bedeutung waren, sind oder sein werden“. Das wird von vielen Seiten eingekreist, aber so gut wie nie (musik-)dramatisch zugespitzt. Wenn von vollen Supermärkten und leeren Städten die Rede ist, scheint das gar ein etwas schräger Kommentar zu den Zeiten zu sein, in denen wir gerade leben.
Leider kommen die schönen Gedichte der Teilnehmer, die seit November 2019 im Rahmen eines Schreibworkshops entstanden im Programmheft abgedruckt sind, in der Aufführung kaum vor, stattdessen wird auf der Basis eines Textes von Kathrin Röggla – mit den sechs Teilen Rückkehr, Geisterhäuser, Zufälle, Die Rückkehrer, Die Zukunft, Stasis, der zu weiten Teilen von Schauspieler Simon Brusis vorgetragen wird – chorisch gesungen oder skandiert, lautstark rhythmisch Stoff geschnitten, über Kies und Geröll mit den Füßen geknirscht. Manche Aktionen wie das Stoffzerschneiden oder das Spiel auf den vier, in den Ecken des weitläufigen Raums platzierten Klavieren haben das Zeug zu performativer Aktion, bleiben aber meist auf halbem Weg oder noch vorher stehen.
In der Erinnerung setzt sich wenig so sehr fest wie das karge Bild der Silhouetten von Spielern und Zuhörern vor dem hellen Sonnenlicht, das von draußen durch die großen, nur von weißen Tüchern verhängten Fenster dringt. Immer wieder überrascht der Raumeffekt, der entsteht, wenn der Zuschauer und -hörer sich auf seinem Stuhl dreht und so selbst entscheidet, was er gerade für wichtig erachtet, was er hören, was er sehen will.
2016 gab es das Vorgängerprojekt „GAACH – quasi eine Volksoper“ mit über 280 Teilnehmenden in den Foyers des Gasteig, bei dem Geschichte und Bewohner des Münchner Stadtteils Haidhausen (in denen der Gasteig steht, was so viel wie gaacher Steig heißt) im Mittelpunkt standen. Wie der jetzige Abend ohne Corona-Beschränkungen ausgesehen und innerhalb einer konzentrierten Biennale als kleines Randprojekt gewirkt hätte, darüber lässt sich nur spekulieren. So wie es sich jetzt darstellte und isoliert für sich stand, wirkte das Vorhaben doch etwas mager.