Foto: Lina Liu (Lianora), Gritt Gnauck (Die Fürstin-Äbtissin), Statisterie und Damenchor in "Das Lied der Nacht" am Theater Osnabrück © Jörg Landberg
Text:Ralf Döring, am 4. Mai 2017
Fantastische Musik, gutes Libretto, tolle Aufführung: „Das Lied der Nacht“ von Hans Gál ist eine rundum gelungene Wiederentdeckung, die das Premierenpublikum im Theater Osnabrück ausgiebig gefeiert hat. Unsere Kritik von Ralf Döring
Dieser „Namenlose Sänger“ muss ein echter Traummann sein. Er singt zum Niederknien schön, das Problem ist nur: Es gibt ihn nur als akustisches Phantom. Doch wie die „Folgedame“ Hämone ihn ihrer Herrin, der Prinzessin Lianora, beschreibt, geht direkt zu Herzen.
Susann Vent-Wunderlich beschreibt dieses musikalische Bildnis bezaubernd schön. Jedes An- und Abschwellen ihres großen Soprans stimmt, jede Nuance in Stimmführung und Farbgebung, jede kleine Geste ihrer Hand. Dazu hat Hans Gál umwerfend emotionale, umwerfend gute Musik geschrieben, und das Osnabrücker Symphonieorchester begleitet unter seinem Chef Andreas Hotz sensibel: Nicht nur die sizilianische Prinzessin Lianora hört da gebannt zu.
Dies ist einer der großartigsten Momente in der Oper „Das Lied der Nacht“ von Hans Gál. Nach den „Vögeln“ von Walter Braunfels und „Die Soldaten“ von Manfred Gurlitt entreißt das Theater Osnabrück damit ein weiteres Werk dem Vergessen, das unter die Räder des Naziregimes kam: Die 1926 in Breslau uraufgeführte Oper wurde 1930 zum letzten Mal gespielt. Der jüdische Komponist floh 1938 nach England.
„Das Lied der Nacht“ spielt im Sizilien des 12. Jahrhunderts. Erbprinzessin Lianora muss heiraten, um dem führungslosen Sizilien wieder einen König zu geben — andernfalls droht Bürgerkrieg. Der Kanzler der Republik (mit gebotener Würde: José Gallisa) hat großes Interesse an einer Beruhigung der Situation; Tancred (kraftvoll: Rhys Jenkins) schielt auf die Prinzessin und mehr noch auf die Krone. Sie aber verliebt sich in einen namenlosen Sänger, der sich letztlich als einfacher Bootsmann Ciullo entpuppt. Die Geschichte endet mit der tragischen Pointe, dass Ciullo sich entleibt. Ferdinand von Bothmer singt ihn mit dunkel gefärbtem, in der Höhe leider etwas angestrengtem Tenor.
Es wagnert ordentlich in diesem Werk, allerdings weniger musikalisch. Doch das zweite Bild hat Librettist Karl Michael von Levetzow eng an den zweiten „Tristan“-Akt angelehnt: Nach einem intimen Gespräch der Prinzessin Lianora und Hämone im Zimmer der Prinzessin dreht sich die Bühne im Osnabrücker Theater am Domhof. Die Projektion von Meeresrauschen überflutet eine Hauswand und schafft das poetische Grundrauschen für ein nächtliches Liebesduett zwischen Lianora und dem Namenlosen Sänger. In dieses vorsichtige Glück stürzt schließlich Tancred wie König Markes Hofstaat ins Liebesspiel von Tristan und Isolde.
Nun werkelt Gál nicht in der spätromantischen Dampfküche mit ihrem permanenten emotionalen Überdruck. Zwar stiften Leitmotive Zusammenhänge, und das spätromantische Orchester liefert das klangliche Material. Doch Gál geht ökonomisch mit seinen Mitteln um und achtet selbst im orchestralen Aufschrei noch auf klare Strukturen. Gleichzeitig würzt er die romantische Harmonik mit den Mitteln der damaligen Wiener Moderne, aber immer so, dass sich das Gewürz nicht in den Vordergrund drängt. So klingt Gáls Musik, als betrachte er die Spätromantik durch die Brille der Neuen Sachlichkeit.
Die Hauptperson Lianora trägt Züge der Prinzessin Turandot: Sie ist launisch, zickig, ungerecht. Aber wenn Lina Liu mit ihrem lyrischen Sopran singt, verleiht das der Figur emotionale Tiefe, und es entsteht ein Frauenbild, das sich abhebt von den dienenden Opfern Wagners: Lianora fordert ein selbstbestimmtes Leben für sich ein. Und das schließt aus, aus Staatsräson den blauscheckigen Womanizer Tancred mit seinem blonden Wallehaar zu heiraten. Darin erfährt sie sogar Bestärkung durch eine graue Eminenz: Lianora sucht Rat bei eine Äbtissin. Gritt Gnauck singt sie mit betörender Altstimme und zeigt in ihrer statuarischen Autorität die enge Verwandtschaft zu Wagners Urmutter Erda.
Regisseurin Mascha Pörzgen bringt die Geschichte anschaulich und klar auf die Bühne des Osnabrücker Theaters, wobei es ihr besser liegt, sich auf ihre Figuren zu konzentrieren, als das Volk stimmig zu arrangieren. Doch der Chor findet sich gut in seine tragende Rolle im ersten und dritten Bild ein, auch dank der guten Vorbereitung durch Markus Lafleur.
All das aber wird getragen von der detaillierten Arbeit, die Andreas Hotz und das Osnabrücker Symphonieorchester leisten. Hotz führt Sänger und Orchester umsichtig durch die anstrengende Partitur: „Das Lied der Nacht“ lohnt unbedingt einen Abstecher nach Osnabrück.