Foto: Szene aus Klaus Weises Inszenierung von Paul Hindemiths "Einakter-Triptychon" am Theater Bonn © Thilo Beu
Text:Stefan Keim, am 24. September 2012
Eine Wand voller Nonnen. Ihre Körper verschmelzen mit dem schwarzen Hintergrund. Sie bewegen sich so gut wie nicht, könnten auch Statuen sein. Gespenstisch wirken sie, latent bedrohlich. Auf dem Bühnenboden liegt der Gekreuzigte. Susanna steigert sich immer mehr in eine Ekstase hinein, in der Geist und Körper eins werden, sich Glaube und Wollust mischen. „Sancta Susanna“ ist das stärkste Stück in Paul Hindemiths „Einakter-Triptychon“. Für seine letzte Bonner Operninszenierung findet Regisseur Klaus Weise zwingende Bilder und beängstigende Intensität.
Dabei ist „Sancta Susanna“ erst später dazu gekommen. Bei der Uraufführung 1921 in Stuttgart gab es nur zwei Einakter des damals jungen Orchestermusikers Hindemith, der mit seiner subtilen Instrumentierung und großer Souveränität in verschiedenen Stilmitteln überzeugte. Im letzten, längsten und auch langwierigsten Stück, der Burleske „Das Nusch-Nuschi“ ist es nur die Musik, die überzeugt. Die vor kurzem verstorbene Kostümbildnerin Dorothea Wimmer hat zwar fantasievolle, farbenfrohe Gewänder entworfen, Weise müht sich ebenfalls sehr, rund um eine kreisförmige Glitzerskulptur sinnliches Treiben aufkommen zu lassen; „Das Nusch-Nuschi“ – basierend auf einem Marionettenspiel – versinkt dennoch in Possierlichkeit. Allerdings lässt Stefan Blunier die wunderbare Partitur mit dem Beethoven-Orchester verführerisch-schillernd aus dem Graben tönen. Und die Sänger leisten – wie in allen Teilen des Triptychons- hervorragende Arbeit.
Mit dissonanten Posaunentönen aus einer Seitenloge hatte der Abend begonnen. Sie geben den Grundton für „Mörder, Hoffnung der Frauen“ vor. Hindemith wusste selbst nicht ganz genau, was ihn an diesem merkwürdigen, grellen, völlig unlogischen Text Oskar Kokoschkas reizte. Er spürte eine große Kraft in den Worten und das Verlangen, auch mal was Verrücktes zu machen. Allerdings gab er dem völlig unstrukturierten Text mit musikalischen Mitteln eine Form. Klaus Weise erzählt keine Kriegergeschichte aus Urzeiten, sondern ein Künstlerdrama. Ein Mann und eine Frau sitzen in einem hellen Raum, als ob sie das Treiben um sie herum nichts anginge: Männer und Frauen, Modelle, wie es scheint, die erst einmal Gipsstatuen zerstören, dann Posen des Kampfes probieren, während auf einem Gerüst eine bürgerliche Gesellschaft zuschaut. Dann wird es wild: Der Mann reißt der Frau die Bluse vom Körper und zeichnet sie mit blutigen Striemen. Daraufhin greift sie nach einem großen Elektrotacker und jagt ihm einige Nadeln in den Bauch. Die beiden winden sich, während sich der Krieg der Geschlechter immer weiter aufheizt. Julia Kamenik und Mark Morouse singen und spielen schrill und glaubwürdig eine Sadomaso-Schlacht auf der Suche nach künstlerischer Erkenntnis.
Doch am spannungsvollsten gelingt „Sancta Susanna“, diese Studie über unterdrückte Sexualität, die gegen alle Zwänge und Korsette unaufhaltsam ausbricht. Ingeborg Greiner singt die sich immer weiter in den Rausch steigernde Susanna vibrierend, fiebernd, kraftvoll. Während Anjara L. Bartz als Nonne Klementia dem Treiben erst verständnislos zuschaut und immer tiefer irritiert wirkt. Klaus Weise hatte 2006 mit Hindemiths „Cardillac“ seine beste Bonner Operninszenierung geschaffen und viel für das immer noch unterrepräsentierte Repertoire des frühen 20. Jahrhunderts getan. „Das Einakter-Triptychon“ ist ein würdiger Abschluss dieser Reihe.