Szene aus "Der Fürst von Pappenheim"

Queere Träume der Oberschicht

Hugo Hirsch: Der Fürst von Pappenheim

Theater:Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz, Premiere:09.12.2023Regie:Christian von GötzMusikalische Leitung:Jens Georg Bachmann

Das Eduard-von-Winterstein-Theater bringt ein Operetten-Highlight aus dem Berlin der 1920er-Jahre zurück auf die Bühne. Denn „Der Fürst von Pappenheim“ erweist sich im Erzgebirge als überraschend aktuell und überzeugt mit wunderbarer Party-Stimmung, die erst gegen Ende etwas schal wird.

Zwei Glücksmomente wuchten die überfällige Wiederentdeckung von Hugo Hirschs „Der Fürst von Pappenheim“ am Eduard-von-Winterstein-Theater in den Operetten-Himmel. Da ist zum einen die exzessive Leichtigkeit und Spiellust des Ensembles im südlichen Erzgebirge. Dieses nähert sich der Crossdressing-Schmonzette aus dem Jahr 1923, als befände man sich auf dem Montparnasse. Zum anderen explodierte der finale Jubel in Annaberg-Buchholz derart, dass er alle Vorurteile über die Skepsis ländlicher Regionen in Sachen queere Textil- und Moralusancen Lügen straft.

Wunderbare Vorgeschichte für den Operetten-Erfolg

Man merkt es: Christian von Götz (der mit dem gloriosen Team am Winterstein-Theater für Ralph Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ den Operetten-Frosch des Bayerischen Rundfunks abräumte) erntet jetzt dort, wo Nick Körber in dem Musical „Hedwig and The Angry Inch“ gesät hatte. Alles schön bunt hier, nicht nur die Schwibbogen in den adventlichen Fenstern und ein Weihnachtsmarkt, auf dem es bei gefrierender Nässe voller war als in der ultrahotten Premiere. Vom Cover seiner Debüt-CD „Sehnsucht nach Weihnachten“ blinzelt Annabergs Tenorino-Star Richard Glöckner mit Bambi-Augen. In der Operette macht er sich als Geschäftsführer des Berliner Modetempels Pappenheim aus strategischen Gründen zum „Fürsten von Pappenheim“ und zieht mit rosa Paradekleid und blonder Perücke alle Register. Nach dem Vorbild von Zarah Leander auch die fast ordinären.

Uraufgeführt wurde „Der Fürst von Pappenheim“ am 16. Februar 1923 im Deutschen Künstlertheater Berlin. Die Komödie kam vom Erfolgsgespann Franz Arnold und Ernst Bach, die Liedtexte vom blutjungen Willi Kollo. Und Trude Hesterberg brillierte damals auf der Bühne. Der Komponist Hugo Hirsch euphorisierte zwischen den Weltkriegen mit Operetten-Possen wie „Bummelmädels“ und „Tangofieber“. Er emigrierte als Jude 1933 nach Belgien. Nach 1945 konnte er trotz einer zweiten Verfilmung des „Fürst von Pappenheim“ (1952) und einer (von Operetten-Redakteur Stefan Frey im BR-Archiv gefundenen) Aufnahme aus den frühen 1960er-Jahren mit Harry Friedauer nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Im Annaberger Premierenpublikum saßen nun überglücklich Hirschs Großnichte und Urgroßnichte. Sie schauen zu, wie das Modehaus Pappenheim zuerst in finanzielle Schwierigkeiten gerät, um dann mit einem Trick neue Kundschaft zu gewinnen.

Eine Person in weißen Kleid recht ihre Hände mit Boxhandschuhen in die Höhe und stellt ein Bein auf eine andere Person auf dem Boden. Über der Bühne steht "Verwandelt Euch!".

Auch Bühne und Kostüme wurden von Christian von Götz entworfen. Foto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography

 

Männer haben Spaß in schönen Kleidern

„Verwandelt Euch!“, steht über der Drehbühne auf der das fast bankrotte Damen-Modeparadies, die kalten Straßen Berlins im Inflationsjahr 1923 und der Schickeria-Laufsteg in Nizza zu sehen ist. Aus dem Glamour mit hochprozentiger Polyamorie und Diversität ragen zwei pikante Handlungszuckerhüte heraus: Erstens finden bei Christian von Götz, der Regie, Bühne und die mondänen Kostüme verantwortet, Männer schon ganz früh die Damenroben aus dem Hause Pappenheim überaus prickelnd. Zum anderen gibt es die von Sophia Keiler wunderbar gespielte und gesungene Prinzessin Stephanie von Greiffenstein, die gegen jede Habsburger Adelssitte Spaß am bestens gratifizierten Job als Influencerin für Superreiche findet.

Ins Allerlei von Küssen und Gruppenkuscheln kommt ein Infomationsblock mit pflichtbewusstem Aufklärungsunterricht. Da tritt Christian Wincierz als Schauspieler Curt Bois (der Protagonist in der „Pappenheim“-Uraufführung und dem ersten „Pappenheim“-Film war) aus der Handlung heraus. Bois gibt Neutext-Empfehlungen für ein Couplet, welche von den Kolleg:innen prompt umgesetzt werden. Die Parallelen von 1923 und 2023 kommen mit Tagesschau-Präzision aufs Moderationstablett: Diversität, Inflation, Ausnahmeregeln, Rechtsruck. Dann mündet alles in ein dionysisches Finale von olympischem Optimismus.

Drei Personen in edlen Kleidern und Sektflaschen winken dem Publikum zu.

Richard Glöckner, Sophia Keiler und Stephanie Ritter begeistern am Winterstein-Theater mit Spielfreude. Foto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography

 

Wunderbares Ensemble in Annaberg-Buchholz

Wie sie das alle nur so können! Stephanie Ritter als Camilla Pappenheim gibt eine aufregende Modezarin im Frack à la Claire Waldoff. Maria Rüssel macht als Baronin Diana auf Marlene-Dietrich-Double und steilen Seitensprung-Zahn. Jakob Hoffmann entwickelt als Hektor der Fußfetischist einen Mordscharme. Leander de Marel bezirzt als herziger Schokoladenonkel im Charlestonkleid. László Varga hat als slawischer Haudrauf-Baron Dmitri heteronormativen Quotenbonus mit Sympathieformat. Christian Wincierz als bizarrer Prinz Sascha heizt im Kleid noch mehr ein als in Hosen. Nadja Schimonsky sprang als Proletarier-Putzmädel und laszive Lo ein, rettete damit die Premiere. Soweit das Annaberger „Pappenheim“-Dreamteam.

Posiert und poussiert wurde das Ensemble vom Choreografen Laszek Kuligowski und am Pult befeuert von Jens Georg Bachmann. Dem eingefügten Hirsch-Schlager „Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht“ und vielen Hits, die das Küssen und die freie Liebe feiern, merkt man bei Bachmann, der Erzgebirgischen Philharmonie Aue und dem Opernchor (feine Einstudierung: Daniele Pilato) Kanten und Schnoddrigkeit der Berliner Musik nicht an. Eine schon chansonartige Eleganz und Eloquenz feiert Triumphe.

Unter dem Schriftzug "Verwandelt Euch!" tanzen und feiern mehrere Menschen in bunten Kleidern.

Auch Chor und Ensemble können in Annaberg-Buchholz überzeugen. Foto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography

 

Operette und Ausbruch

Von Götz treibt und beflügelt sein Ensemble. Virtuos, beschwingt und enthemmt schwirrt dieses durch das queere Flair der durch ihre Monothematik minimal steifen Sause nach Art einer Dragqueen-Show. Deshalb werden diese drei Stunden gegen Ende minimal anstrengend. Die oben im Licht shoppen und ficken als Wohlstandsblase, welche jede Beziehung zur Basis verloren hat. Außerhalb der Luxushotels und Fashion-Studios, dort wo man Hände an Feuertonnen wärmt und inflationierte Geldscheinberge mit Einkaufswägen transportiert, gelten die alten Geschlechterpositionen. Von Götz wollte diese Kontraste schärfen. Dabei gehen ihm und dem Ensemble bei Witz und Tollerei immer wieder die Pferde durch.

Das rekordverdächtige Ausstellen queerer Kapriolen ist gewiss tragfähig, solange subversives Potenzial dahintersteckt. Tut es hier aber nicht (mehr). Insofern bestätigt der Annaberger „Fürst von Pappenheim“ ein Axiom des in letzter Zeit gern kritisierten Operetten-Papstes Volker Klotz. Der meinte nämlich, dass Operette fast immer mit dem Ausbruch aus regulierenden Fesseln kokettiere, aber dann doch die sog. ‚Normalität‘ restituiert. In Annaberg-Buchholz ist die ‚Normalität‘ queer, polyamourös und von A bis Z ein aufgesexter Ponyhof. Aber nur für die Happy Few auf den obersten Sprossen der sozialen Holzleiter.