Wunderbare Vorgeschichte für den Operetten-Erfolg
Man merkt es: Christian von Götz (der mit dem gloriosen Team am Winterstein-Theater für Ralph Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ den Operetten-Frosch des Bayerischen Rundfunks abräumte) erntet jetzt dort, wo Nick Körber in dem Musical „Hedwig and The Angry Inch“ gesät hatte. Alles schön bunt hier, nicht nur die Schwibbogen in den adventlichen Fenstern und ein Weihnachtsmarkt, auf dem es bei gefrierender Nässe voller war als in der ultrahotten Premiere. Vom Cover seiner Debüt-CD „Sehnsucht nach Weihnachten“ blinzelt Annabergs Tenorino-Star Richard Glöckner mit Bambi-Augen. In der Operette macht er sich als Geschäftsführer des Berliner Modetempels Pappenheim aus strategischen Gründen zum „Fürsten von Pappenheim“ und zieht mit rosa Paradekleid und blonder Perücke alle Register. Nach dem Vorbild von Zarah Leander auch die fast ordinären.
Uraufgeführt wurde „Der Fürst von Pappenheim“ am 16. Februar 1923 im Deutschen Künstlertheater Berlin. Die Komödie kam vom Erfolgsgespann Franz Arnold und Ernst Bach, die Liedtexte vom blutjungen Willi Kollo. Und Trude Hesterberg brillierte damals auf der Bühne. Der Komponist Hugo Hirsch euphorisierte zwischen den Weltkriegen mit Operetten-Possen wie „Bummelmädels“ und „Tangofieber“. Er emigrierte als Jude 1933 nach Belgien. Nach 1945 konnte er trotz einer zweiten Verfilmung des „Fürst von Pappenheim“ (1952) und einer (von Operetten-Redakteur Stefan Frey im BR-Archiv gefundenen) Aufnahme aus den frühen 1960er-Jahren mit Harry Friedauer nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Im Annaberger Premierenpublikum saßen nun überglücklich Hirschs Großnichte und Urgroßnichte. Sie schauen zu, wie das Modehaus Pappenheim zuerst in finanzielle Schwierigkeiten gerät, um dann mit einem Trick neue Kundschaft zu gewinnen.
Männer haben Spaß in schönen Kleidern
„Verwandelt Euch!“, steht über der Drehbühne auf der das fast bankrotte Damen-Modeparadies, die kalten Straßen Berlins im Inflationsjahr 1923 und der Schickeria-Laufsteg in Nizza zu sehen ist. Aus dem Glamour mit hochprozentiger Polyamorie und Diversität ragen zwei pikante Handlungszuckerhüte heraus: Erstens finden bei Christian von Götz, der Regie, Bühne und die mondänen Kostüme verantwortet, Männer schon ganz früh die Damenroben aus dem Hause Pappenheim überaus prickelnd. Zum anderen gibt es die von Sophia Keiler wunderbar gespielte und gesungene Prinzessin Stephanie von Greiffenstein, die gegen jede Habsburger Adelssitte Spaß am bestens gratifizierten Job als Influencerin für Superreiche findet.
Ins Allerlei von Küssen und Gruppenkuscheln kommt ein Infomationsblock mit pflichtbewusstem Aufklärungsunterricht. Da tritt Christian Wincierz als Schauspieler Curt Bois (der Protagonist in der „Pappenheim“-Uraufführung und dem ersten „Pappenheim“-Film war) aus der Handlung heraus. Bois gibt Neutext-Empfehlungen für ein Couplet, welche von den Kolleg:innen prompt umgesetzt werden. Die Parallelen von 1923 und 2023 kommen mit Tagesschau-Präzision aufs Moderationstablett: Diversität, Inflation, Ausnahmeregeln, Rechtsruck. Dann mündet alles in ein dionysisches Finale von olympischem Optimismus.
Wunderbares Ensemble in Annaberg-Buchholz
Wie sie das alle nur so können! Stephanie Ritter als Camilla Pappenheim gibt eine aufregende Modezarin im Frack à la Claire Waldoff. Maria Rüssel macht als Baronin Diana auf Marlene-Dietrich-Double und steilen Seitensprung-Zahn. Jakob Hoffmann entwickelt als Hektor der Fußfetischist einen Mordscharme. Leander de Marel bezirzt als herziger Schokoladenonkel im Charlestonkleid. László Varga hat als slawischer Haudrauf-Baron Dmitri heteronormativen Quotenbonus mit Sympathieformat. Christian Wincierz als bizarrer Prinz Sascha heizt im Kleid noch mehr ein als in Hosen. Nadja Schimonsky sprang als Proletarier-Putzmädel und laszive Lo ein, rettete damit die Premiere. Soweit das Annaberger „Pappenheim“-Dreamteam.
Posiert und poussiert wurde das Ensemble vom Choreografen Laszek Kuligowski und am Pult befeuert von Jens Georg Bachmann. Dem eingefügten Hirsch-Schlager „Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht“ und vielen Hits, die das Küssen und die freie Liebe feiern, merkt man bei Bachmann, der Erzgebirgischen Philharmonie Aue und dem Opernchor (feine Einstudierung: Daniele Pilato) Kanten und Schnoddrigkeit der Berliner Musik nicht an. Eine schon chansonartige Eleganz und Eloquenz feiert Triumphe.
Operette und Ausbruch
Von Götz treibt und beflügelt sein Ensemble. Virtuos, beschwingt und enthemmt schwirrt dieses durch das queere Flair der durch ihre Monothematik minimal steifen Sause nach Art einer Dragqueen-Show. Deshalb werden diese drei Stunden gegen Ende minimal anstrengend. Die oben im Licht shoppen und ficken als Wohlstandsblase, welche jede Beziehung zur Basis verloren hat. Außerhalb der Luxushotels und Fashion-Studios, dort wo man Hände an Feuertonnen wärmt und inflationierte Geldscheinberge mit Einkaufswägen transportiert, gelten die alten Geschlechterpositionen. Von Götz wollte diese Kontraste schärfen. Dabei gehen ihm und dem Ensemble bei Witz und Tollerei immer wieder die Pferde durch.
Das rekordverdächtige Ausstellen queerer Kapriolen ist gewiss tragfähig, solange subversives Potenzial dahintersteckt. Tut es hier aber nicht (mehr). Insofern bestätigt der Annaberger „Fürst von Pappenheim“ ein Axiom des in letzter Zeit gern kritisierten Operetten-Papstes Volker Klotz. Der meinte nämlich, dass Operette fast immer mit dem Ausbruch aus regulierenden Fesseln kokettiere, aber dann doch die sog. ‚Normalität‘ restituiert. In Annaberg-Buchholz ist die ‚Normalität‘ queer, polyamourös und von A bis Z ein aufgesexter Ponyhof. Aber nur für die Happy Few auf den obersten Sprossen der sozialen Holzleiter.