Foto: Zeljko Lucic (Simon Boccanegra), Markus Marquardt (Paolo Albiani) und der Sächsische Staatsopernchor Dresden © Matthias Creutziger
Text:Volker Tzschucke, am 2. Juni 2014
Ach Gott, dieses Volk ist so wankelmütig: Keine 30 Sekunden Dunkelheit braucht es, um im Bruderkrieg zwischen Popularen und Patriziern die Seiten zu wechseln. Mit fliegenden Fahnen – in der Pause zwischen zweitem und drittem Akt mit drehenden Schildern – geht’s hinüber und herüber. Wer wollte da angesichts der gespannten innenpolitischen Lage Doge sein in Genua? Kriegsheld Simon Boccanegra nimmt es auf sich, weil er sich privates Glück erhofft: Er könnte seine geliebte Maria endlich ehelichen, die ihm vor 25 Jahren verweigert wurde, weil sie der Familie des Feindes entstammte. Doch Maria stirbt soeben dahin. Bleibt Boccanegra nur die Hoffnung, die gemeinsame Tochter Amelia wiederzufinden. Die lebt noch – und liebt nun ihrerseits einen Mann der Gegenpartei.
Giuseppe Verdi hat seine Oper „Simon Boccanegra“, die am 30. Mai Premiere in der Dresdener Semperoper hatte, wahrlich angefüllt mit Konflikten: „Meine Tochter finde ich wieder und ein Feind nimmt sie mir weg“, singt die Titelfigur. Die Gespenster der Vergangenheit wirken ins heute. Und sie tanzen elegant über die Bühne: Das Inszenierungsteam um Jan Philipp Gloger schickt Balletttänzer und Komparsen ins Spiel. Es ist allenfalls ein schwacher interpretatorischer Ansatz, der Boccangras Scheitern wohl in die Nähe tragischer Helden a la Ödipus heben soll: Die Vergangenheit wird lebendig und ihr kann niemand entkommen. Eher wirkt es wie Illustration der Opernhandlung, wenn die pantomimischen Einlagen – durchs Bühnenbild von Christof Hetzer fein säuberlich abgesondert – ins Spiel kommen: Wie in einem Second Screen wird die Vergangenheit lebendig. Es hat den Nachteil, den man vom neumodischen Second Screen kennt: Er lenkt ab vom Eigentlichen, degradiert die Musik zuweilen sogar zum Soundtrack der Vergangenheit.
Das hat die wunderbare Schar der Solisten ebenso wenig verdient wie die von Christan Thielemann angeführte Staatskapelle, die vor allem in ihren leisen Momenten für Gänsehaut sorgen kann (wenn’s lauter wird, scheppert es gelegentlich ein wenig zu arg). Aber die Solisten: Zeljko Lucic (Boccanegra) und sein Widerpart Kwangchul Youn als Jacopo Fiesco liefern sich eindrucksvolle Duelle und zum Ende hin ein Duett des Verständnisses der großen alten Männer, das unwillkürlich auf das Ende aller Konflikte auch außerhalb des Opernhauses hoffen lässt. Maria Egresta als Emilia benötigt ein paar Minuten Anlauf, um sauber zwischen höheren und tieferen Lagen zu wechseln, doch spätestens im ersten Duett mit Ramón Vargas zeigt sie sich gefühlvoll verletzlich auf der Höhe. Vargas als ihr Liebhaber Adorno ist leidenschaftlich in seiner Liebe, düster in seinen Rachegelüsten, leidend in seinem Zweifel und damit ein Hörvergnügen. Den widersprüchlichsten Part des Paolo Albiani – immerhin muss er sich selbst verfluchen – meistert Marcus Marquardt vortrefflich. Dass all ihnen die Show gestohlen wird, tut wenig not.
Überzeugender ist da der inszenatorische Einsatz des gewaltigen Chores. Er rumort, er greift zu Mistgabel und Feuer, er wechselt – siehe oben – die Seiten. Und mitten im Kampf begriffen wird er eingefroren, Boccanegra wandert durch die Masse der erstarrten Kämpfer wie durch Tübkes Kyffhäuser-Panorama vom Bauernkrieg. Plastisch wird hier die Schwierigkeit des inneren Friedens greifbar – sowohl für Genua als Ganzes wie für jeden seiner Protagonisten.