Szene aus "Idomeneo"

Im Klangrausch aufgewühlter See und Menschen-Seelen

Wolfgang Amadeus Mozart: Idomeneo

Theater:Theater Pforzheim, Premiere:24.02.2024Regie:Urs HäberliMusikalische Leitung:Robin Davis

Die frühe Oper „Idomeneo“ von Mozart spart nicht mit Gefühlen, Intrigen und Heldentaten. Am Theater Pforzheim bringt Regisseur Urs Häberli das wirkungsmächtig auf die Bühne. Dabei kann er sich auch grandiose musikalische Leistungen verlassen.

Die Figuren aus der klassisch-antiken Sagenwelt treten mit opernprächtiger Macht auf die Bühne des Stadttheaters Pforzheim. Ihre Gesten, Blicke und Zeichen sind getragen vom instrumentalen und vokalen Klangrausch der Musik, die durch ein Labyrinth emotional aufgeladener, krass wechselnder Affekte führt und für Spannung beim Hören und Zuschauen sorgt.

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Den Mythos von Neptuns vernichtendem, in Meeresstürmen sich austobendem Zorn auf Kretas siegreichen und als Schlächter von Troja bekannten König Idomeneo, der seinen Sohn Idamante dem Meeresgott opfern soll, haben Wolfgang Amadeus Mozart und sein Librettist Giambattista Varesco in ihrer nach dem König benannten Sturm-und-Drang-Oper „Idomeneo“ wirkungsmächtig gestaltet. Im Plot tragisch eingeschlossen kämpfen die gefangene Trojaner-Prinzessin Ilia und Prinz Idamante um ihre Liebe, die sich zudem gegen die Eifersucht und Machtgier der aus Mykene geflohenen Agamemnon-Tochter Elettra behaupten muss.

Zwei Personen stehen sich vor einer Stele mit einem metallenem Stierkopf, links vorne steht eine Frau mit langem Mantel und Blumen in den Armen.

Stamatia Gerothanas spinnt als Elettra Intrigen und überzeugt in Pforzheim auch stimmlich. Foto: Sabine Haymann.

 

Oper über Getriebene

Die Pforzheimer Inszenierung von Urs Häberli setzt diese Wirkungsmacht kongenial um. Dafür sorgen seine zuweilen an den großen Baseler Regisseur Herbert Wernicke erinnernden Regie-Einfälle, eine überzeugende teils in die moderne Zeit übertragene Handlungsstruktur und die stimmige Personenführung. Ausstatter Marcel Zabas graublau schimmernde Bühne wird von verschiebbaren, archaischen Vierkant-Tempelsäulen eingefasst. In deren Zentrum thront zumeist der goldgehörnte Stierschädel des menschenverschlingenden, aber überhaupt nicht ungeheuerlichen Minotaurus.

Diese Bühne bietet einen idealen Handlungsraum, der immer wieder den Blick auf die verdämmernde kretische Küste mit ihren schroffen Felsformationen freigibt. Vor allem aber beeindrucken hervorragend singende und spielende Vokalsolisten, machtvoll akzentuierende Chöre der trojanischen Gefangenen und der jubelnden Kreter sowie die Badische Philharmonie Pforzheim unter der überaus präsenten Leitung von Robin Davis. So entfalten sich atemberaubende Momente in den unaufhörlichen Erregungskonflikten der aufgewühlten See und Menschen-Seelen.

Inhaltlich arbeitet die Aufführung den Widerstreit der ineinander verstrickten, von Schuld, Angst, Misstrauen und Leidenschaft getriebenen personae dramatis in mitreißenden Szenen heraus. Auch Anklänge an Mozarts intime Biografie werden deutlich: beispielsweise der Vater-Sohn-Konlikt oder die aufklärerisch-freimaurerischen Sympathien des jungen Komponisten, die sich im Zusammenhang mit Neptuns Menschenopfer-Verlangen gegen die von einer Priester-Kaste an „verfluchten Altären“ beförderten Grausamkeiten der Götter wenden.

Zwei Personen reichen sich die Hände, während ein Mann in weißem Anzug und eine Gruppe in schwarzer Kleidung schauen dabei zu.

Idamante – Jina Choi in weißem Hosenanzug – kämpft für die Liebe. Foto: Sabine Haymann

 

Musikalische Meisterleistungen in Pforzheim

Santiago Bürgi gibt – anfangs im güldenen Brustpanzer des Kämpfers, dann als zerfleddertes Opfer von Neptuns Meeres-Unwettern oder im neuzeitlich biederen Straßenanzug und zuletzt im Gala-Outfit des Herrschers – einen Idomeneo mit kernig-energischem Tenor-Timbre: ausdrucksstark in der Verzweiflung. Die Hosenrolle des Idamante stattet Jina Choi im unschuldsweißen Kostüm mal zart, mal dramatisch heftig und oft in sinnlich feiner Betroffenheit mit ihrem charmanten Sopran aus. Auch Lou Denès als verliebte Ilia meistert ihre zahlreichen Rezitative und Arien mit Sopran-Bravour und zeigt sich in ihrer goldgelben Abendrobe nach Idamantes Liebesschwur hingegeben vor Glück.

Nachhaltigen Szenen-Applaus, ja Publikums-Jubel verdient sich freilich Stamatia Gerothanas in ihrem dunkelroten Samtkleid als wahrhaft fürstliche Elettra mit schneidend scharfen Rache-Gesängen, die gespickt sind mit Staccato-Skalen und auf die Zauberflöten-Nachtkönigin vorausweisenden Koloraturen. Vielleicht nicht ganz passend, dass sie dabei ihre Kontrahenten mit einer Pistole bedroht. Beachtlich auch Dustin Drosdziok in der Rolle des Idomeneo-Vertrauten Abrace, der in seiner einzigen Arie mit lyrisch strahlendem Tenor glänzt.

Besonders eindringlich gelingen den Protagonisten die hochdramatischen Sequenzen am Ende des zweiten Aktes und vor dem Finale des dritten, wenn sich außer Elettra jeder und jede für die anderen heroisch opfern und Neptun besänftigen will. Schlussendlich löst sich die scheinbar auswegslose Situation durch eine etwas aufgesetzte deus-ex-machina-Aktion in Idomeneos Entsagung und den feierlichen Krönungszeremonien seiner Nachfolger auf. Der vielbeschäftigte Chor, noch in tief-schwarzer Trauerkleidung, leuchtet ein letztes Mal in Gefühlsaufwallungen auf, von Robin Davis am Pult entfesselt und dennoch musikalisch wunderbar gebändigt.