Szene aus "Orfeo ed Euridice"

Im Vorsaal des Jenseits

Christoph W. Gluck: Orfeo ed Euridice

Theater:Salzburger Festspiele, Premiere:04.08.2023Regie:Christof LoyMusikalische Leitung:Gianluca Capuano

Der Mythos von Orpheus und Eurydike ist eng mit der Oper verbunden. Bei den Salzburger Festspielen erzählt Christoph Loy die Liebesgeschichte jedoch mit neuen Herausforderungen. Die überzeugende Cecilia Bartoli als Orpheus wird von einem kongenialen Ensemble begleitet.

Für die kunstbeflissene Kundschaft der Salzburger Nobel-Festspiele bietet vor allem das aktuelle Opernprogramm einiges an Risiken. Was ja per se kein Nachteil ist … Aber wenn „Figaros Hochzeit“ wie in diesem Jahr gleich so drastisch die Komödie ausgetrieben wird, wie zum Festspielauftakt von Martin Kusej, dann ist es gut, wenn dank Cecilia Bartoli und Christoph Loy ein schon zu Pfingsten erprobtes Erfolgs-Schmankerl auf dem Programm steht. Obwohl diese Liebesgeschichte, die (vor allem) die beiden erzählen, sehr viel trauriger ausgeht, als (trotz aller Verdüsterungsversuche) bei Mozarts Figaro.

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Postfeministische Liebesgeschichte

Euridice ist gleich zu Beginn tot und sie bleibt es auch. Nicht ganz ohne ihr Zutun, wie man durch das packende Ausspielen der Verzweiflung durch die Bartoli in der Rolle des Orfeo und die Nachhaltigkeit, mit der (die strahlend frischen) Mélissa Potit als Euridice seinen Wünschen widerspricht, unzweifelhaft erfährt.

Eine Frau in einem langen weißen Kleid steht auf dem oberen Ende einer weißen Adresse.Mélissa Petit (Euridice) © SF/ Monika Rittershaus

Es ist ein klassischer Fall von Hätte-sie-doch-ihrem-Geliebten-nur-vertraut! Einfach mal die Klappe halten und unterstellen, dass er schon seinen Grund haben wird, wenn er bei seinem ja doch ziemlich außergewöhnlichen Versuch, die Geliebte von den Toten zurück ins Leben zu holen, nicht ansehen will. Macht sie aber nicht. Sie nervt und fleht, besteht auf den Ritualen der Liebesbekundungen von ehedem. Bis er schwach wird und sie eben entgegen der klaren Ansage von Amore (Madison Nonoa) doch direkt ansieht.

Eingespieltes Team für die Oper

Für solche Exerzitien von Operngeschichten übers Allgemeinmenschliche, die nicht gleich mit dem Weltuntergang enden, ist das Gespann Cecilia Bartoli und Christoph Loy genau das richtige. Dieser Regisseur und die Ästhetik, die er zusammen mit Johannes Leiacker (Bühne) und Ursula Renzenbrink (Kostüme) längst zur wiedererkennbaren Marke verfeinert hat, passen einfach zu diesem Stück. Vielleicht gab es ja die paar versprengten Buhs von den hinteren Reihe wegen dieser Wiedererkennbarkeit? Das war aber weniger störend, mehr seltsam.

Seiner wie immer hochpräzisen Personenführung hat Loy eine Choreografie von ganz eigenem Reiz hinzugefügt. Tanzenden Alter Egos der Lebenden oder/und Toten betreten nach und nach die noble Treppe im gediegen holzvertäfelten Vorraum zum Jenseits oder Wartesaal zum was auch immer.

 

Mehrere Menschen in schwarzen Anzügen springen auf einer Treppe in die Höhe.

Ensembleszene © SF/ Monika Rittershaus

Hier wird die Totenklage auch von verschiedenen Paaren getanzt, bis sie selbst, teils kopfüber über mehrere Stufen, wie Tote drapiert liegen. Diese perfekt sitzende Choreografie ist harmonisch in das Geschehen und die Musik eingefügt. Alle Vierzehn tanzen, als müsste es so sein. Davon gleichsam eingerahmt ist dann das Beziehungsdrama ohne Happy End zwischen den beiden Protagonisten.

Die Sängerin als Bereicherung für Salzburg

Dann klagt die Bartoli (mit schwarzem Männeranzug, die Haare nach hinten gebunden) über den Verlust und ihren Schmerz. Männerollen gehören eh zu ihrem Kerngeschäft. Dabei zieht sie die Register ihres vokalen Könnens und lässt das Charisma ihres Timbres leuchten. Dann wieder setzt sie, vor allem wenn Euridice ihrem Orfeo einen Blick abverlangt, ihr italienisches Temperament ein. Damit hat sie (beziehungsweise er) zwar „Recht“, aber eben bei Euridice keinen Erfolg. Faszinierend wie sie sich dann aber auch bis ins Verhauchen zurückzunehmen vermag.

Menschen in bunten Kleidern sitzen auf einer Treppe. Im Hintergrund geht eine Person in schwarzem Anzug in Richtung eines weißen Durchgangs

Ensembleszene © SF/ Monika Rittershaus

Cecilia Bartoli ist nicht nur eine begnadete Sängerin – ihre intelligente Art von Selbstvermarktung bringt auch der Welt der Oper (vornehmlich der barocken oder noch älteren) erheblichen Gewinn. Dass sie seit 2012 nicht nur die Salzburger Pfingstfestspiele leitet, dramaturgisch gestaltet und immer wieder selbst mit vokalen und darstellerischen Glanzlichtern garniert. Das wissen längst auch die Sommerfestspiele an der Salzach zu schätzen. Denn da bereichern diese Produktionen regelmäßig den Spielplan.

Großartige Ensemble-Leistung im Orchester-Graben

Gianluca Capuano und sein erfahrenes und fabelhaftes Orchester Les Musiciens du Prince Monaco (dessen Gründung nicht zuletzt Bartoli zu verdanken ist) spielen die selten aufgeführte zweite Fassung von 1769 der Gluck-Oper, deren Kastratenpartie des Orfeo sich Bartoli mühelos anzuverwandeln vermag. Im Graben liefert Capuano mit seinem Ensemble ein überzeugendes Plädoyer für die besondere Sinnlichkeit, historischen Musizierens. Allein schon die Blasinstrumente tönen wie aus einer anderen Welt zu uns herüber. Schaurig schön ist das.

Auch wenn Bartoli hier nicht mit ihren Koloraturfeuerwerken punkten kann, bleibt es eine One-Woman-Show, aber eine inmitten aller anderen. Auch der von Jacopo Facchini einstudierte Chor „Il canto di Orfeo“ macht – vom Graben aus sicht- und hörbar – seinem Namen alle Ehre.

Am Ende wiederholt sich die stumme Szene der Trauer auf den Stufen und der Versuch, den Tod zu überlisten, endet im Schweigen. Und dann im Jubel. Zur Wiederaufnahme am 4. August sogar mit royalem Glanz im Publikum: Wenn in Salzburg jemand so aussieht wie die Königin und der König von Schweden, dann sind sie es auch.