Foto: Simon Neal (Dr. Schön) und Brenda Rae (Lulu) © Barbara Aumüller
Text:Michael Kaminski, am 4. November 2024
Nadja Loschky zeigt Alban Bergs romantische Oper „Lulu” an der Oper Frankfurt auf ihren Eros reduziert und in wuchtigem Bühnenraum.
Während des Prologs verschließt das Segment eines Riesenzylinders das Bühnenportal. Doch bald schon beginnt die Wand zu rotieren, sich gar zu teilen. Daraus ergeben sich Einblicke in die lediglich durch Mobiliar und Requisiten angedeuteten Schauplätze vom Maleratelier bis zum Elendsquartier. Der Zylinder gestattet kein Entrinnen.
Ob in prächtigem Art déco ausstaffiert oder Rumpelkammer, Bühnenbildnerin Katharina Schlipf situiert Bergs Oper im Kerker. Die darin hausenden Männer sind allesamt Gefangene ihrer eigenen Gier nach Geld, Geltung und Lust. Nicht ein göttliches Verhängnis wie in der griechischen Tragödie waltet über ihnen, sie selbst schicken sich ins Verderben. Lulu wird in die Männerwelt hineingezwungen. Dabei wurde sie von ihrer als Doppelgängerin unter dem Namen Anima über die Bühne geisternden Seele getrennt. Auf ihren Eros reduziert, fungiert Lulu nun als Objekt der Begierde. Wobei sie, wenn schon einmal unter solche Karrieristen gezerrt, ihr Spiel mit ihnen treibt. Welches sie freilich nicht gewinnen kann. Denn sie befindet sich allein auf weiter Flur, hingegen ist die Zahl der nach dem Besitz der vermeintlichen femme fatale lechzenden Männer Legion.
Szenisch kompakt
Gleichwohl dräut die einer antiken Tragödie angemessene Massivität des Bühnenraums allzu wuchtig. Hinzu kommt, dass Regisseurin Nadja Loschky über weite Strecken auf das Fluide der Titelfigur verzichtet. Mithin ausgerechnet jene Eigenschaft, auf der Lulus gesellschaftlicher Erfolg ganz wesentlich beruht. Vieles bleibt daher Attitüde.
Triumphal in Großwildjägerinnenpose den Fuß auf bäuchlings vor ihr liegende Männer zu stemmen, mag bekunden, was sich sadomasochistisch veranlagte Vertreter des Geschlechts von Lulu erhoffen. En passant bewerkstelligtes Kopulieren längst vor dem Londoner Prostituiertendasein wirft aber die Frage auf, ob es zu solchem Ziel tatsächlich des erheblichen Aufwandes der Verehrer an malerischer Ambition, Geld und Nerven bedarf. Loschky will, dass sich die seelisch Todwunde final ins Messer Jack the Rippers stürzt. Der Suizid öffnet – gewiss unbeabsichtigt – der Entlastung des Frauenmörders Tür und Tor. Dies, obschon die Partitur Lulu hier als gänzlich auf die Opferposition erniedrigt schildert. Befremdlich ferner, wie leidenschaftslos die Gräfin Geschwitz agiert. Schigolch geht jedwede Dämonie ab.
Dirigent und Orchester in Höchstform
Eindeutig auf der Habenseite zu verbuchen ist, was sich musikalisch im Graben und auf der Bühne ereignet. Thomas Guggeis entlockt dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester kristalline Klarheit, verbunden mit dramatischer Verve und opulentem Streicherklang. Bisweilen verschafft sich dezent, aber deutlich jazziger Einschlag Geltung.
Brenda Rae bietet für Lulu restlosen spielerischen und vokalen Einsatz auf. Leichthin erobern Raes Koloraturen die Stratosphäre. Stimme und Habitus Simon Neals beglaubigen den Machtmenschen Dr. Schön. Für Alwa verfügt AJ Glueckert über immerfort strahlende Emphase. Der Gräfin Geschwitz verleiht Claudia Mahnke vor allem stimmlichen Ausdruck. Fahl und nüchtern in jeder Hinsicht agiert der Schigolch von Alfred Reiter.