Foto: Ensembleszene aus der Uraufführung "Abfall der Welt" mit Klaus Cofalka-Adami (Mitte vorn) © Felix Grünschloß
Text:Volker Oesterreich, am 23. Februar 2018
Thomas Köcks Bewusstseins- und Erinnerungsstrom „Abfall der Welt“ als Uraufführung in Karlsruhe
„Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Die mephistophelische Erkenntnis aus dem ersten Teil der „Faust“-Dichtung bekommt auf einmal eine ganz neue Bedeutung, wenn man sie in Beziehung setzt zu den Wertschöpfungsprozessen unserer Wirtschaftskreisläufe, zu denen eine gigantische Müllproduktion gehört. Ohne Trash kein Cash – ohne Müll kein Moos. Aber irgendwann strudelt ein Großteil unseres Abfalls als Mikroplastik inmitten der Ozeane. Mit dieser längst zur Realität gewordenen Erkenntnis beginnt Thomas Köcks Bewusstseins- und Erinnerungsstrom „Abfall der Welt“, der jetzt in der Studiobühne des Badischen Staatstheaters Karlsruhe uraufgeführt wurde. „in der mitte des pazifischen ozeans wo / sich die wirbel treffen drehen sie sich / ewig um“ – so wogt uns Köcks Wortschwall ohne Punkt und Komma um die Ohren.
Der gerade mächtig gehypte Autor – er wurde dieser Tage mit der Mannheimer Uraufführungs-Inszenierung „paradies spielen (abendland. ein abgesang)“ zum Mülheimer Dramatiker-Wettbewerb eingeladen – ist ein getreuer Adept Jelinekscher Textflächen. Für sein „Müll“-Stück hat er Interviewsequenzen über Kindheitserinnerungen und alltagsphilosophische Betrachtungen über die tiefere Bedeutung des Abfalls zu einem 60-seitigen Patchwork verknüpft. Darin geht es um menschlichen Abfall wie Fingernägel, Haare oder Ausscheidungen, aber auch um unser aller Endlichkeit und das, was von uns materiell übrig bleibt. Nicht zu vergessen der Datenmüll, der sich kaum löschen lässt, weil er immer Spuren hinterlässt, die auch übergeordnete Programme nicht zu tilgen vermögen. Ganz schön viel Stoff also, der hier verwurstet, verwertet und verhackstückt wird. Köck spielt dabei mit vielerlei Assoziationsebenen und klebt auf diese Weise einen grünen Punkt auf seinen „Abfall der Welt“. Nur einen Aspekt lässt er aus: die Usancen der Müll-Mafia und die fortschreitende Vergiftung von Luft, Boden, Wasser.
Marie Bues, Intendantin der Stuttgarter Rampe und Spezialistin für Köck-Texte, hat die Sprachpartitur zusammen mit der Choreografin Nicki Liszta auf die Bühne gebracht. Da das Stück selbst Patchwork ist und nichts anderes sein will, war es auch ein ziemlich geschickter Schachzug, den 80-Minüter von einem Koproduktions-Patchwork realisieren zu lassen. Fünf baden-württembergische Institutionen sind beteiligt: Neben dem Staatstheater Karlsruhe gehören noch das freie Theater Rampe, die auf den Tanz abonnierte und ebenfalls aus Stuttgart stammende backsteinhaus produktion, die Akademie Schloss Solitude (an der Thomas Köck Stipendiat ist) und die Ludwigsburger Akademie für Darstellende Kunst dazu. Ein institutionelles Quintett.
Mal aus dem off gesprochen, mal live fluten uns lauter biografische Erinnerungsfetzen, Ängste und Wunschprojektionen entgegen. Alles spielt sich in einem dreh- und rollbaren Kubus aus Gerüst-Streben ab. Von oben hängen bunte Tapes herab, und in einer Szene wird das Gestänge mit rot-weißem Baustellen-Band umwickelt. Es ist ein phantasievoller, beliebig interpretierbarer Freiraum, den die Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Mondschein da geschaffen hat.
Zu den schroffen Beats der DJane Beste Aydin spielen und tanzen sieben Akteure. Sie entlarven den amerikanischen Traum als Trash, ironisieren und hinterfragen ihre Innenwelten und zeigen filigran-geschmeidige Körperarbeit genauso wie schroffe Stürze oder den Zustand des In-den-Seilen-Hängens. Alle zusammen recyceln aus dem Textmaterial eine nachhaltige Performance.