Regisseur Valentin Schwarz hat spürbar anderes im Sinn. Margarita (Adriana Bastidas-Gamboa mit dramatischem Furor, aber viel Druck und wenigen Stimmfarben) ist in ein enges Kleid gezwängt, auf dem die „widerlichen Blumen“ aus dem Anfangsmonolog abgebildet sind und tritt hier eher psychotisch als leidenschaftlich-zärtlich auf. Und das Satan-Äquivalent Voland und seine Baggage sind in ihre Körperformen verzerrendes Schwarz gehüllt. Man darf ihre Gesichter nicht sehen, begegnet nur dunklen Schemen mit unterschiedlich großen Füssen. Wie kann uns der Charme, den ihr Text, ihre Musik ausstrahlen, so erreichen?
30 Jahre, erst vier Inszenierungen
Natürlich ist diese Oper eine große Aufgabe. Nach der Uraufführung 1989 in Paris unter Hans Neuenfels und Lothar Zagrosek sind nur zwei weitere Inszenierungen belegt, 1991 in Köln und 2013 in Hamburg. Nun ehrt also die scheidende Kölner Intendantin Birgit Meyer den 78-jährigen Kölner Komponisten York Höller mit der zweiten Kölner Inszenierung seiner einzigen Oper. Und ihr Haus bewältigt die Produktion. Die Inszenierung gibt dagegen Rätsel auf. Es scheint, als habe Valentin Schwarz keinen Zugriff auf das Stück gefunden. Das Problem der Simultanität mehrerer Erzählstränge geht er genauso wenig an, wie er eine Haltung zu den Szenen im zeitgenössischen Russland, besser: der Sowjetunion, entwickelt.
Michail Bulgakow, der Autor der Romanvorlage, wurde in Kiew geboren, lebte und arbeitete in Moskau und thematisiert in „Der Meister und Margarita“ die Unfreiheit und geistige Enge des stalinistischen Staates. Der von seiner geliebten Margarita so titulierte „Meister“ hat einen Roman über Pontius Pilatus geschrieben, der nicht veröffentlicht werden darf, was ihn in die Psychiatrie getrieben hat. Simultan werden Teile aus dem Roman erzählt und ein weiterer Strang schildert die Ankunft des Teufels in Moskau, sein Einsickern in die Stadt. Schließlich vereinigt er das Paar wieder, einer Bitte des hier „Jeschua“ genannten Jesus folgend, die der offenbar aus dem Roman heraustretende Levi Matthäus dem Teufel überbringt.
Bilder ohne Erzählung
Schwarz verklumpt diese drei Stränge zu einem und setzt die jeweils vom selben Sänger gesungenen Meister und Jeschua, Pilatus und den Psychiater, den Dichter und Levi Matthäus kaum voneinander ab. Die Bilder von Andrea Cozzi haben für sich genommen durchaus großen Reiz, sind aber keine Hilfe bei der Handlungsvermittlung, da sie abstrakte Orte behaupten und diesen keine konkrete Funktion zuweisen. Warum etwa kommt Pilatus, im Wortsinn in das Gerhard-Richter-Fenster des Kölner Doms gehüllt, mit zwei stilisierten Kirchtürmen auf die Bühne? Weil es bei Jesus Christus irgendwie um die Entstehung des Christentums geht oder generell um das Schicksal innovativer Künstler, ihr Ringen um Akzeptanz und Anerkennung? Tragen deshalb die eigentlich doch als bestenfalls mittelmäßig gezeichneten Mitglieder des Schriftstellerverbandes die Ganzkörpermasken legendärer Künstler von Albrecht Dürer und Vincent van Gogh bis Joseph Beuys und Jonathan Meese und warum werden sie hinterher mit roten Schlingen aufgehängt? Was leistet das „Alter Ego“ des Meisters, das ständig in dekorativen Posen angeordnet wird?
Der Schauspieler Oscar Musinowski ist ein herausragender Sprecher und tritt auch in der großen Varieté-Szene als Conférencier auf, wo er durch großartiges Timing besticht. Aber warum muss er das ausgerechnet als halbgare Parodie des Blödel-Schlagerstars von anno dazumal, als Gottlieb Wendehals tun, unverwechselbar mit Karo-Jackett und Gummihuhn? Geht es hier nicht vielmehr darum, die Sensations- und sonstige Gier des Publikums (im Stück) bloßzulegen als die Figur zu denunzieren? Und hätte sich Margaritas Flug über die Stadt nicht theatralischer angehen lassen als mit einem Video mit Großaufnahmen der unmaskierten Teufels-Clique, deren Gesichter wir „offiziell“ noch gar nicht gesehen haben? So ist es dem eminent textverständlichen Solistenensemble aufgegeben, für Orientierung auf der Bühne und in der Aufführung zu sorgen, was dieses mit großem Engagement tut, wobei Nikolay Borchev mit leidens- und legatofähigem Bariton als Meister und der überraschend viel Witz aus Text und Musik herauskitzelnde Bjarni Thor Kristinsson als Voland herausragen.
Szenisch bleiben also von diesem Abend vor allem – Fragen. Der anwesende Komponist allerdings zeigte sich erfreut und dankbar, dass das Theater seiner Heimatstadt seinem Opus Magnum eine zweite Chance einräumte, eine Generation nach der ersten. Und die entscheidende Erkenntnis dieses Abends ist letztlich doch, dass „Der Meister und Margarita“ gespielt werden muss. In jedem Fall. Mit einer Regisseurin oder einem Regisseur, die oder der sich diesem großartigen Stück enthusiastisch stellt. Und das hoffentlich nicht erst in 30 Jahren.