Ateliergespräche über Kunst

Ohne Bilder

John Logan: Rot

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:26.01.2018Regie:Melanie Kretschmann

Mark Rothko war vermutlich einer der bedeutendsten, sicher einer der teuersten Maler des 20. Jahrhundert. Der aus Litauen stammende US-Amerikaner entwickelte die Farbfeldmalerei, meistens untereinander liegende, von der Farbe Rot dominierte Vierecke mit eigentümlich weichen Kanten und dominierte damit in den 50ern gemeinsam mit seinem Antipoden, dem 1956 verstorbenen Action-Painter Jackson Pollock, die New Yorker Kunstszene.

Im 2009 in London uraufgeführten Stück von John Logan geht es um Rothkos Beziehung zu seinem, vermutlich fiktiven, Assistenten Ken. Der junge Mann hat sein Kunststudium abgeschlossen, ist versessen darauf zu arbeiten und von dem allgemein als Genie anerkannten Maler zu lernen. Der betrachtet ihn zunächst als reinen Diener und Erfüllungsgehilfen, wirft ihm gelegentlich ein paar geistige Brosamen hin und putzt ihn häufig herunter, verlangt profundere Kenntnisse von Kultur- Literatur- und Kunstgeschichte, klagt den jungen Mann geistiger Unbeweglichkeit an. Die Gespräche drehen sich um Rothkos Malerei und die Rolle, die er dem Publikum zudenkt, um das Ende des Kubismus und die beginnende Dominanz der PopArt, um Pollock und Rothkos Vorbild Matisse – und immer wieder um Nietzsches „Geburt der Tragödie“ und den hier postulierten bestimmenden Gegensatz von apollinischem und dionysischem Prinzip. Am Ende hat sich Ken geistig emanzipiert und Rothko wirft ihn hinaus.

Anzeige

Den vielen Wörtern hört man gern zu – weil Wolfgang Michael die meisten spricht, besser: rauslässt. In den besten Momenten scheint er die Sottisen seiner Figur im Moment gefunden, erfunden zu haben. Er spielt genau und konzentriert, wird nie laut, lässt nie los, zeigt die Tragik einer klassischen Künstlerfigur, die irgendwann so viel Ich ist, dass ihr die Welt verloren geht. Und Elias Reichert setzt mit gradlinigem, zum Ende hin auch variantenreichen Spiel einen sympathischen, nie verloren gehenden Ken dagegen.

Dennoch überzeugt der Abend als Ganzes nicht. Vielleicht, weil der, von Carl Hegemann im Programmessay wegen seiner Erfolge mit „Gladiator“ oder „James Bond: Skyfall“ ein wenig süffisant als ‚Drehbuchschreiber‘ titulierte Autor John Logan glaubt, sehr viel Primärinformationen vermitteln zu müssen. Sein Duo muss uns den Nietzsche ausführlich aufdröseln, Pollocks Tod interpretieren oder Matisse‘ Vorbildrolle für Rothko ausführlich betonen, während sämtliche anderen Lebensbereiche, zumindest der Rothko-Figur, nahezu vollständig ausgeblendet bleiben. Und das Ende, eine Antizipation von Rothkos Freitod, kommt extrem unvermittelt. Vor allem aber fehlt es am Regiezugriff.  Eine als Faltenwurf drapierte Riesenleinwand wird in der Mitte des zweistündigen Abends straff gezogen. Wolfgang Michael zieht sich ein paarmal um und scheint, mit Frisur und Haltung, seiner zynischen Intelligenz, seiner selbstbestimmten Wurschtigkeit, manchmal nicht nur Rothko zu sein, sondern auch, in wenigen kostbaren Momenten, ein Heiner Müller oder ein Frank Castorf zu sein, eine widerständige Künstlerpersönlichkeit an sich. Aber mehr Bild, mehr Assoziationsräume, mehr wirkliche Bewegung gibt es nicht. Am rechten Rand der Bühne in der Außenspielstätte am Offenbachplatz befindet sich ein Sammelsurium an 60er-Jahre-Utensilien, in deren Mitte die Souffleuse wie ein Ausstattungsgegenstand drapiert ist. Von hier aus wird Geld aus der Kaffeekasse genommen, Whiskey eingeschenkt, immer wieder, Schallplatten aufgelegt, durchaus programmatisch schlüssig, beginnend etwa mit Strawinsky „Petrushka“, aber ohne Einfluss auf den Umgang mit dem Text. Vor allem aber fehlen die Farben, über die ständig gesprochen, deren Symbolik fast durchgängig diskutiert wird. Am Anfang, als wir Zuschauer eintreten, liegt eindeutig Farbgeruch über dem Raum, was sich aber als perfide falsche Fährte erweist. Wenn die Darsteller Rothkos Bilder betrachten, schauen sie ins Publikum, schwingen sogar einmal die Rampe entlang pantomimisch den Pinsel. Auch die Leinwand im Hintergrund muss blass bleiben, bis Ken ein paar Tropfen Flüssigkeit drauf schüttet. Die Sinnlichkeit des im Programmessay als historische Konstante behaupteten Vorgangs des Übermalens wird nicht theatralisch produktiv, nicht einmal verfügbar gemacht. Melanie Kretschmanns inszenatorischer Umgang mit dem Text bleibt voll und ganz, in Anführungszeichen, apollinisch. Dionysos fehlt unentschuldigt.