Foto: Peter Schöne und der Musiker Stephan Ullrich in "Die schöne Magelone". © Hans Juergen Landes
Text:Andreas Falentin, am 20. Februar 2013
Brahms‘ Liederzyklus „die schöne Magelone“ gilt als schwerfällig, reizarm und ein wenig oberflächlich. Der Dirigent Harry Curtis und die Regisseurin Sibylle Broll-Pape haben ihn jetzt in Bochum völlig neu gehört und angerichtet. Man kann von einer Befreiung sprechen. Curtis und Broll-Pape sehen „die schöne Magelone“ nicht wie üblich in der Tradition der romantischen Liederzyklen und –kreise seit Schubert und Schumann, eher als innehaltende, gelassen zurückschauende Reflexion der Entstehung eben dieser Tradition. So muss diese Musik nicht bieten, was sie nicht hat: tiefer gehende Gefühle, eine Anmutung existenzieller Gefährdung. Die ungewöhnliche, hörenswerte Melodik, die unangekränkelte Lebensfreude der Komposition rücken wie von selbst in den Mittelpunkt.
Präsentiert wird die immer wieder ironisch aufgebrochene theatralische Darstellung eines Erzählvorgangs an sich. Gleich zu Beginn streift sich der Schauspieler Stephan Ullrich Archivarshandschuhe über und schlägt einen angestaubten Folianten auf. Seine behutsamen Bewegungen, sein enthusiastischer Blick erzählen von einer Faszination für alte, immer wieder erzählte Geschichten. Eine davon, in Bochum kaum mehr als ein Beispiel, ist die Erzählung vom Grafensohn Peter und seiner Magelone, vom sich Finden und –Verlieren, von der schlussendlichen glücklichen Vereinigung in der bukolischen Idylle.
Der frappierend wortverständliche und körperlich sehr bewegliche Bariton Peter Schöne singt die 15 Lieder mit Texten von Ludwig Tieck wunderbar – weich, schlank strömend, aber immer klangsinnlich. Sein Ort sind die drei quadratischen Spielflächen, die Trixy Royeck mit Objekten aus der Schnittmenge von Romantik und Kitsch ausgestattet hat. Der Schauspieler weist dem Sänger immer wieder seinen Platz an, lässt ihn sozusagen singen und „begleitet“ ihn von einem Tisch an der Seite, auf dem er kleine, zweidimensionale Objekte anordnet, die per Videokamera auf die Bühne projiziert werden. Diese liebevollen Arrangements wirken unaufdringlich und nicht selten witzig. Sie stellen sich nicht vor den theatralischen Prozess, sondern lenken den Blick des Zuschauers distanzierend auf den Erzählvorgang, genau wie die schlichte Tatsache, dass in diesem ästhetischen Umfeld gesungen wird.
Weitere Zutaten des nie wohlfeilen Abends sind die treffsicheren Zwischentexte Martin Walsers und Heribert Breuers Transkription der Klavierbegleitung für Bläser- und Streichquintett. Die Texte, von Stephan Ullrich souverän, mal augenzwinkernd, mal feurig vorgetragen begeistern durch eine, besonders im Werk Walsers, seltene Mischung aus Poesie und unerwartet heiterer Ironie, die 2008 uraufgeführte Orchesterfassung gießt Farben aus über Brahms‘ eher spröden Klavierpart und die Schauplätze der Handlung und scheut vor schrägen Klangreibungen nicht zurück. Die Wiedergabe durch Harry Curtis und Solisten der Bochumer Symphoniker lässt keine Wünsche offen. Am Ende liegt das alte Buch mitten auf der Bühne als Verweis auf die (Heil-)Kraft des Erzählens, der das kleine Theater einen phasenweise beglückenden, durchgängig unterhaltsamen Theaterabend auf hohem Niveau abgewonnen hat.