"Ode an die Freiheit"

Ode an das Spiel

nach Friedrich Schiller: Ode an die Freiheit

Theater:Thalia Theater, Premiere:30.08.2020 (UA)Vorlage:Kabale und Liebe/Maria Stuart/Wilhelm TellAutor(in) der Vorlage:Friedrich SchillerRegie:Antú Romero Nunes

Mit der „Freiheit“ ist es so eine Sache in diesen Tagen der Pandemie. Unser aller Leben hat sich verändert, wir alle müssen mit Einschränkungen leben. Ob diese allerdings einen Angriff auf unsere „Freiheit“ bedeuten oder schlicht der Vernunft geschuldet sind, darüber scheiden sich die Geister. Am Samstag demonstrierten die, die sich in einer Diktatur wähnen, in Berlin für ihre „Freiheit“. Am Sonntag eröffnet das Hamburger Thalia-Theater die Spielzeit mit einer Inszenierung von Antú Romero Nunes: „Ode an die Freiheit“. Dass das Thema nun das der Stunde ist, ist eher ein Zufall. Nunes’ Arbeit hätte eigentlich Ende März Premiere haben sollen, doch dann kam der Corona-Lockdown. In der Zwangspause hat er drei kurze Filme zu den zugrundeliegenden Schiller-Stücken „Wilhelm Tell“, „Kabale und Liebe“ und „Maria Stuart“ produziert, nun also ist die Inszenierung endlich live zu erleben.

Es ist Nunes’ Abschiedsinszenierung von dem Theater, an dem er lange Hausregisseur war. Nun wird er dem Leitungsteam am Theater Basel angehören. Nunes verknüpft die Schiller-Texte nicht, er stellt sie wie in einem Tryptichon neben- beziehungsweise nacheinander aus, überlässt es dem Publikum, den roten Faden zu suchen und finden. Victoria Behr hat das Ensemble in naturalistisch-überspitzte opulente Kostüme gesteckt, Matthias Koch drei Schauplätze entworfen, die immer auch augenzwinkernder Kommentar sind. So findet sich „Wilhelm Tell“ vor einer kitschigen Bergkulisse wieder, die Familie Miller in „Kabale und Liebe“ in einem überdimensionierten Puppenhaus mit Klavier und Geige (Musiker-Haushalt!) und die alternden Königinnen in „Maria Stuart“ sitzen an einer Haltestelle im Nirgendwo. Hier wird wohl kein Bus mehr kommen, es erinnert eher an jene Haltestellen, die Betreiber von Pflegeheimen bisweilen aufstellen, um ihren dementen Patienten vorzugaukeln, es gäbe einen Ausweg, eine Alternative.

Drei mal Schiller also in gut zwei Stunden ohne Pause. Sportlich. Corona-bedingt wurden die Stücke vielleicht noch stärker komprimiert als ursprünglich geplant, reduziert auf ihre Grundkonflikte. So ist die Freiheit des Wilhelm Tell vor allem Starrheit. Er will seine Unabhängigkeit um jeden Preis, ein kleiner Reichsbürger. Nunes kommt mit zwei Personen aus: Paul Schröder ist Tell, Thomas Niehaus dessen Sohn Walter und Gessler, der Reichsvogt. Der berühmte Apfelschuss, hier ist er schlicht ein Missverständnis, das der sturköpfige Tell nicht auflösen will, weil sonst sein schwarz-weißes Weltbild ins Wanken geriete. Fern der Alpen holt Nunes ein wenig Schwyzerdütsch samt Alphorn nach Hamburg und verwandelt den Tell in einen spielfreudigen Klamauk mit bitterem Ende.

„Kabale und Liebe“ reduziert er auf die Familie Miller: Vater, Mutter und Tochter Luise. Deren Geliebter Ferdinand, um den sich doch die ganzen Intrigen entspannen, tritt nicht auf, über ihn wird lediglich gesprochen. Jörg Pohl, Cathérine Seifert und Lisa Hagmeister sitzen in opulenten Steppdecken-Kostümen am Frühstückstisch und diskutieren das Liebesleben der Tochter aus. Bis es eben aus ist. Aus und vorbei. Die Kabalen werden in einem Rollenspiel verarbeitet, am Ende vergiftet Luise ihre Eltern mit grüngefärbtem Orangensaft. Und alle kehren zurück zum ersten Bild, beginnen das Spiel von neuem. Ein Entkommen aus diesem Kreislauf? Undenkbar. Gefangen bis in alle Ewigkeit in Vorurteilen und Unfreiheit.

Zum Abschluss der Trilogie dann noch „Maria Stuart“. Karin Neuhäuser (Maria) und Barbara Nüsse (Elisabeth) spielen die beiden Königinnen, die jede auf ihre Art unfrei sind: Maria als tatsächlich Gefangene, Elisabeth in ihren mannigfaltigen politischen Abhängigkeiten. Die zwei Grand Dames des Theaters sitzen auf ihrer Wartebank, piesacken sich und sind doch auf die Gesellschaft der anderen angewiesen. Sie blicken zurück auf ihre Leben, die doch allmählich durcheinander geraten. „Wo sind wir hier?“, fragt Elisabeth immer mal wieder. Maria befreit sich von der Last der Schuld und des Lebens: „Das ist der Augenblick der Freiheit, wenn jede Angst des Irdischen von einem abfällt.“ Am Ende tauschen sie einfach die Rollen, kehren zurück an den Anfang, unter umgedrehten Vorzeichen.

Zugegeben: Der rote Faden, die Freiheit, ist lose. Ein wenig „Schiller-Best of“. Der Bezug zur Gegenwart ist vage, die Verbindung der einzelnen Stücke konstruiert. Nunes erzählt allgemein menschliche Dramen von der Freiheit des einen, die mit der eines anderen kollidiert. Ihn interessieren mehr die Einzelschicksale als das große Ganze. Sein Ensemble aber trägt mit seiner lange ausgebremsten und nun sich wieder entfaltenden Spiellust über gewisse konzeptionelle Schwachpunkte hinweg. Und so ist diese „Ode an die Freiheit“ vor allem eine an das Spiel. Ein Kaleidoskop verschiedener Freiheitsentwürfe. Eine Ode an die Freude, endlich wieder in (fast) aller Freiheit Theater zu spielen und zu schauen.