Foto: Das Ehepaar Eichmann (Regine Lenders und Torsten Bauer) © Birgit Hupfeld
Text:Detlev Baur, am 15. März 2025
Kathrin Mädler inszeniert am Theater Oberhausen Heinar Kipphardts Dokumentarstück „Bruder Eichmann“ und die Uraufführung des Chorstücks „Geschwister Eichmann“ von Lukas Hammerstein. Ein ersschreckendes und zugleich wichtiges Doppelstück über Schuld und die Banalisierung des Bösen.
Auf der Bühne des Theaters Oberhausen, hinter dem Eisernen Vorhang ist das Publikum an langen, gedeckten Tischen zu einer seltsamen Familienfeier gebeten. In der Mitte des Raums ist ein großer Erdhügel aufgetürmt, mit weißen Blüten bedeckt wie ein großes Grab (Bühne und Kostüme: Mareike Delaquis Porschka). Die achtköpfige Trauergemeinde tritt in die Mitte, berichtet von der Hinrichtung Adolf Eichmanns. Und schon erscheint wie aus dem Nichts der Verstorbene zur Gedenkveranstaltung.
Der freundliche Organisator des Todes
Torsten Bauer ist zunächst ein freundlicher Mann von Welt, sensibel, intellektuell wirkend und freundlich. In den folgenden zwei Stunden wird er von den Enkeln (Nadja Bruder und Philipp Quest) kritisch, auch zornig befragt, von der Nichte (Anke Fonferek) psychologisch ergründet, vom Freund (Klaus Zwick) ergänzt und von der Ehefrau (Regine Leenders) bedingungslos unterstützt und verteidigt. Die Angestellte (Clara Schwinning) bedient das Publikum mit Kartoffeln und die Akteur:innen mit Wein, sie verstärkt durch vermeintlich ungelenke Aktionen die Soundeffekte (Musik: Cico Beck) und erschüttert zwischen den Szenen durch Einschübe wie ein antisemitisches Hassgedicht oder Berichten aus dem Todeslager Auschwitz.
Das 1983 uraufgeführte Stück Heinar Kipphardts nutzt, dramaturgisch nicht unbedingt elegant, dokumentarisches Material für ein Bild des SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann, der wegen der millionenfachen Ermordung von Menschen in deutschen Konzenentrationslagern später in Israel zum Tod verurteilt wurde. Doch entwickelt sich aus dem Dialog des Hingerichteten mit Familie und Freunden das subtile Psychogramm eines Mannes, der sich frei von Schuld sieht. Es zeigt einen sensiblen Mann, der nie gewalttätig war, aber als absolut pflichtbewusster Befehlsempfänger mit bürokratischem Talent den Transport in die Todeslager organisierte. Die Inszenierung von Kathrin Mädler zeigt diese Anti-Tragödie, in der die Schuldfrage eigentlich nicht ambivalent ist, der Täter aber dennoch seine Verantwortung konsequent negiert als erschreckendes Menschengemälde.
Der Protagonist spielt überzeugend einen normal wirkenden Mann, der sich zunehmend als Opfer stilisiert. Dabei zeigt sich zunehmend die Arroganz des Selbstgerechten, besonders, wenn er nach dem Todesurteil das Pfarrerpaar Hull (Anna Polke und Oliver El-Fayoumy) in seinem Versuch, ein Schuldeingeständnis zu formulieren abblitzen lässt.
Die zwei Stunden sind bedrückend und aufschlussreich, allerdings zieht sich das skurrile Familienritual in die Länge. Die Teilnahme an der Tafel des Selbstgerechten erfordert Ausdauer, die von einer Schulklasse kaum zu erwarten ist. Vielleicht ist diese Art des genauen Dokumentartheaters, das differenziert Fakten rekonstruiert und zugleich einen Charakter entwirft, der über den Einzelfall hinausweist – und natürlich erschreckende Parallelen in die politische Gegenwart andeutet –, formal etwas antiquiert. Richtig ist es auf jeden Fall, dass die Oberhausener Inszenierung nicht mit dem Tod Eichmanns endet.
Blick zurück im Volk
Nach einer Umbaupause sitzt das Publikum auf Podien, darunter auch das nun ganz in beige gekleidete Oktett des ersten Teils sowie der nach wie vor sich jovial gebende Darsteller der Eichmann-Figur aus dem ersten Teil. Er gehört bis zum Ende zur Menge der Zuschauer:innen-Familie und hat das letzte, hier wirklich erschreckende Wort: „Familie“. Zuvor hatte sich der übrige Chor auf einem Podest in der Mitte versammelt und seine scheinheiligen Phrasen voller Überzeugung unters Volks gebracht.
Lukas Hammersteins chorischer Text dreht sich um das Wort „Wir“ und umkreist in einer Ode an die Banalität des Bösen in angerissenen Schlagworten die Geschichte von BRD, DDR und Deutschland der Gegenwart: Was in Kipphardts „Eichmann“ ausgeführt wird, entwickelt hier das nachgeborene Volk weiter: eine selbstgerechte, (sich selbst) anlügende Verdrängung von Vergangenheit und Verantwortung. Verfremdete Phrasen wie „Aber wir sind viele / Die Mehreren“ oder „Die Schande des Denkmals“ mögen etwas allgemein hingeworfen sein. Im präzisen und gut rhythmisierten Spiel des Ensembles regt dieses Finale dennoch unbedingt dazu an, wachsam zu bleiben in politisch fragilen Zeiten.