Foto: „Sauer“ mit Tim Weckenbrock im Vordergrund © Lukas Diller
Text:Martin Krumbholz, am 12. April 2024
Autorin Asja Krsmanovic macht aus dem alt-traditionellen bosnischen Einmach-Ritual, Gemüse einzulegen, das Familiendrama „Sauer“. Niko Eleftheriadis‘ kurzweilige Inszenierung am Theater Oberhausen spielt mit szenisch diversen Formen und läßt die Fetzen fliegen.
Am Anfang war die Gurke. In manchen Familien, wohl nicht nur in Bosnien, ist es üblich, im Herbst allerlei Gemüse sauer einzulegen, um sicher durch den Winter zu kommen. Auch wenn die jüngere Generation dieses überlebte Ritual inzwischen für überflüssig erachtet – man verdient ja genug. Die bosnische Autorin Asja Krsmanovic nimmt das häusliche Einmach-Meeting zum Anlass für ein fünfköpfiges Familiendrama, bei dem zuverlässig die Fetzen fliegen; nicht zuletzt deshalb, weil die natürliche Abtrittsfolge verletzt erscheint: nicht die schwer demente 90-jährige Großmutter stirbt zuerst, sondern mal der Onkel, mal die Mutter, oder sogar der erwachsene Sohn und dessen Frau.
Denn so will es die besondere Versuchsanordnung des Stücks: in jedem der fünf Akte, die parallel zueinander verlaufen, fehlt eine andere Figur infolge eines Todesfalls. Mit diesem dramaturgischen Kniff ist einem gewissen Naturalismus vorgebeugt, der sich allenfalls in den Dialogen wiederfindet. Die sind für ihren Teil durchaus dem Leben abgelauscht, allerdings einem eigenartig ortlosen Leben: Bis auf das Urlaubsziel Marokko werden keine Namen genannt, auch keine Personennamen.
Sorgfältige Figurenarbeit
Die Regie von Niko Eleftheriadis arbeitet zunächst die Figurenprofile sorgfältig heraus: Die Mutter (Anke Fonferek) hat einen verbittert-herrischen Zug und mobbt die Schwiegertochter, ihr Bruder (Torsten Bauer) ist für manchen Scherz zu haben, der Sohn (Tim Weckenbrock) will alles richtig machen und die Schwiegertochter (Ronja Oppelt) leidet. Die Großmutter, gespielt von Anna Polke, fällt vor allem durch zotige Reden auf. Alle Figuren jedoch besitzen auch eine weiche, lernfähige Gegenseite, die das Stereotyp wohltuend hinter sich lässt.
Der Text von Krsmanovic wurde mit Hilfe des Goethe-Instituts in Workshops entwickelt und bei einem Festival für südosteuropäische Dramatik als bester Wurf ausgezeichnet. Der soliden handwerklichen Qualität wird die Regie in Oberhausen ihrerseits durch einen Form-Trick gerecht: Sie findet nämlich für jeden einzelnen Akt eine andere ästhetische Gestalt. Zuerst reproduziert sie den Text schlicht als einen Sprechgesang; dann flimmert ein zum Comic verfremdetes Filmchen über zwei Leinwände; später erfährt das eingespielte Video eine eher realistische Rahmung, oder es wird direkt auf der Bühne live erzeugt (Bühne und Kostüme: Heike Mondschein, Video: Niko Eleftheriadis).
Über den Tod und dessen Umstände der jeweils ausgeschiedenen Figur wird man eher beiläufig informiert, was mitunter ein wenig irritiert. Die forcierte Diversität der Formen jedoch macht den Oberhausener Abend, zur Freude der anwesenden Autorin, äußerst kurzweilig. Das verhandelte Gemüse kommt übrigens, im ansonsten streng requisitenfreien Setting, im Comic auch einmal zu seinem Recht: Hier wird tatsächlich, zwischen all den streitlustigen Reden, mal leidenschaftlich geschnibbelt.