Foto: Ensemblebild von „Die Brücke von Mostar” am Theater Oberhausen © Kerstin Schomburg
Text:Andreas Falentin, am 16. September 2023
Deutsche Erstaufführung am Theater Oberhausen: Der britische Dramatiker Igor Memic behandelt ein Thema aus der neuesten Geschichte, den Balkankrieg, aus Sicht der Zivilbevölkerung. Zwei Paare stehen darin ratlos vor der Katastrophe.
Mina (Franziska Roth) und Mili (Philip Quest) begegnen sich an der Alten Brücke. Und verlieben sich. Ganz klassisch. Und leben zusammen. Die fröhliche Leila (Ronja Oppelt), Minas Freundin, und der ernste Sasha (David Lau) leben auch zusammen. Alle vier verstehen sich gut. Eines Tages kann Mina ihr Lieblings-Shampoo nicht mehr erwerben, und Kaffee und Batterien werden knapp. Das ist der Anfang, das Leben der vier wird jetzt immer mehr in Dunkelheit und Chaos gehüllt. Leila wird erschossen, Milie stirbt in einem Lazarett, Sasha bringt sich um, weil er sein Leben nicht mehr erträgt. Mina bekommt ein Kind und erzählt die Geschichte.
Was ist Mostar?
Wir befinden uns in Mostar, eine Vielvölkerstadt im Süden von Bosnien-Herzogowina, etwa 100.000 Einwohner. Der von der EU ausgelöste Krieg in den 90er-Jahren heizt die Stimmung auf. Die Mischung aus (katholischen) Kroaten, (islamischen) Bosniaks und (orthodoxen) Serben führt selber Krieg, auch in Mostar. 1992/1993 besiegen die Kroaten und Bosniaks, die beiden größten Ethnien in der Stadt, die Serben. Dann schlagen die Sieger sich gegenseitig. Die Kroaten bringen eine Brücke, die aus dem 16. Jahrhundert stammt, gezielt zum Einsturz, um den Krieg zu beenden. Zehn Jahre dauert es, bis es eine neue Brücke gibt. Das alles erzählt das Stück „Die Brücke von Mostar“ von Igor Memic nicht genau. Es gibt nur Andeutungen, die Menschen in Kroatien, Serbien oder Bosnien-Herzegowina gut verstehen, denn dort werden die Geschehnisse um die „Alte Brücke“ als bekanntes Gleichnis gesehen für die Geschichte ihres geteilten Landes. Wir verstehen nicht alles.
Leicht distanzierter Ton, Suche nach Abstraktion
So erzählt das Stück „nur“ die Geschichte der Liebenden unter Bedrohung. Dafür hat die Regisseurin Anne Bader einen leichten, distanzierten Ton gefunden, gebaut mit Zuhilfenahme von „Flash Dance“ als musikalisches Leitmotiv. Wir mögen sie alle vier und gehen mit ihnen. Aber die Form und der Ton des Textes sind schwierig. Emina (Simin Soraya) erzählt, das ältere Ich von Mina, immer wieder muss sie sich wissend-unsichtbar-mitleidend im Bild halten und zusätzlich Distanz schaffen. Ihr Text ist selbstzweckhaft poetisch, er liefert wenig Informationen und legt immer wieder die Zeitstruktur offen: „Drei Monate später“. So erfassen wird die Vorgänge nur noch als Episoden, nicht als Geschichte.
Ähnliches im Bühnenbild: Luisa Wandschneider hat eine Art Setzkastenelement aus Beton auf die Bühne gestellt, das sich in der Schlussviertelstunde bewegt. Das wird sehr schön beleuchtet und erzählt vielleicht vom Verfall der Stadt, aber eben nicht dynamisch sondern statisch. Immerhin spürt man auch hier eine Suche nach Abstraktion, um Sentimentalität zu vermeiden. Das ist der Produktion sehr gut gelungen, die, gemessen an der Lautstärke des Beifalls im vollen Saal, das Herz des Publikums getroffen hat.