Von akuten Lebensnöten aller
Um vielmehr geht es nicht in dem gut dreistündigen Abend, der Lygres Text ungekürzt in zwei pausenunterbrochene Teile packt: Da begegnen sich zunächst eine Mutter und ihre Tochter an einem friedhofsangrenzenden Flussufer; idyllisch ist es, ungestörten Austausch sucht man, wartet auf den Bruder, und will sich vor allem – zusammen freuen! Doch nach und nach trudeln andere hinzu – ein frisch getrenntes Paar, eine Beerdigungsgesellschaft – jeder und jede mit eigenen akuten Lebensnöten: der unverzeihliche Fehltritt, der gerade verstorbene Ehemann, die unausgesprochene Homosexualität oder Unfruchtbarkeit.
Ausstattungsleiterin Franziska Isensee hat für das zeitlose Geschehen eine artifizielle kleine Welt erschaffen, die schon beim Heben des Vorhangs Staunen macht: Lichterketten hängen in diesem Menschenkosmos herab, alle acht Figuren tragen überbordende weiße Kleider mit Reifröcken, Puffärmeln und riesigen Knochenschädeln, die sie abnehmen, sobald Dialog entsteht. Unnahbar sind sie in dieser Künstlichkeit, wandeln herum und reden mehr mit uns – dem Publikum – als miteinander. Kann man sich überhaupt freuen, Nähe zulassen in dieser Steifheit, dieser Unfreiheit?
Sich freuen bleibt schwer
Letztlich nur punktuell – das erzählt uns Kathrin Mädlers Inszenierung mit präzise getimten Dialogen und einem Ensemble, aus dem vor allem Anke Fonferek als Mutter mit ihrer zupackenden, emotionalen Art hervorsticht neben Tim Weckenbrock, Regina Leenders, Klaus Zwick, Susanne Burkhard, Nadja Bruder, Daniel Rothaug und Khalil Fahed Aassy. So sehr sich Lygres Figuren auch vornehmen, sich freuen zu wollen: Es bleibt schwer. Sich eingestehen kann das nur Aksle, der erwartete Bruder, der kurz auftaucht, um sein Verschwinden anzukündigen und damit den ganzen Gemeinschaftsquatsch depressiv negiert: „Ich muss mir einen Ort suchen, wo ich nicht ganz ich selbst bin. Oder wo ich ich bin, aber ohne alles, das zu mir gehört.“
Nach der Pause liegen alle Lichterketten am Boden, auf einem Podest in Bühnenmitte entsteht eine zufällige Party. Wieder suchen alle Trost, Verständnis, nun in Pelzmäntel gekleidet, die im Gruppenkuscheln ein famoses Sinnbild ergeben: Aus dem Fellknäuel ragen nur noch Gesichter hervor und Füße, jeder ist alle und niemand allein. Aber alle vermissen Aksle… Das zieht sich, zumal Arne Lygres Text zum Ende zerfasert und deutlich einbüßt von seiner Sprachgewalt des Anfangs. Daran ändern auch die eingeschobenen Schumann-Lieder-Arrangements der Sopranistin Ekaterina Isachenko wenig, die das Geschehen kontemplativ begleiten.
Trotzdem: „Zeit für Freude“ führt uns jene zwiespältigen Sehnsüchte vor Augen, denen wir postpandemisch mehr denn je ausgeliefert sind: Gemeinschaft hilft dem Überleben, das dennoch leider tödlich endet.