Szene aus "Auf der Flucht"

Oberflächliches Gesellschaftspanorama

Tennessee Williams: Auf der Flucht

Theater:Staatstheater Meiningen, Premiere:11.02.2022 (DSE)Regie:Frank Behnke

Am Ende ist sogar Gott wütend. Nichts haben seine Schützlinge auf die Reihe gekriegt: weder das Leben noch die Liebe – ihre Revolutiönchen schon gar nicht. Woran das liegt, vermag auch der Herr im Himmel nicht zu sagen, Regisseur Frank Behnke aber schon. Ein hässlicher Maskenzug mit Amerika-Fähnchen umrundet die Szene im Staatstheater Meiningen: Na klar, die da oben sind schuld. Ganz so einfach ist es aber nicht in Tennessee Williams‘ frühem Stück „Auf der Flucht“, das der Schauspieldirektor als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert hat.

Es fängt schon mit einem Klischee an: Ein Cowboy-Typ namens Texas (Felix Kruttke) stapft auf die Bühne, stellt den Fuß auf eines der Betten, greift zur (verstärkten) Klampfe und singt einen Countrysong. Wir sind in Amerika, ob im Jahr 1937, als Williams sein Stück schrieb, oder irgendwann später, ist ziemlich egal. Dabei ist das Bühnenbild von Ausstatter Christian Rinke ein richtiger Hingucker: Zwei Reihen dürftiger Betten, die besseren (Bank-)Plätze und zwei Podien gehören dem Publikum. Einen einsamen Teddybär, zerdrückte Getränkedosen haben frühere Bewohner in dieser „Herberge“ zurückgelassen, wo die Nacht nur 15 Cent kostet und in großen Lettern zu lesen ist: „Exit – No way out“.

Aber hier, wo der bald bluthustende Carl (Yannick Fischer), Tramp wie sein Kumpel Olsen (Vivian Frey), der Pyromane Abel (Michael Jeske) und der ziemlich schicke Gangster Terry (Stefan Willi Wang) eine Bleibe und etwas Menschlichkeit suchen, werden nicht mal die Besitzer froh. Glory (Carmen Kirschner) sehnt sich in ein anderes Leben, Bruder Leo (Jan Wenglarz) sucht dasselbe in der kommunistischen Studentenzeitung, fliegt prompt von der Uni und zerstört damit Papas Träume (Gunnar Blume als Mr. Gwendlebaum). Sie alle sind auf der Flucht – vor dem Leben, der Gesellschaft, der Familie und sich selbst.

Wiederentdecktes Frühwerk

Drei Stücke schrieb der noch erfolglose Tennessee Williams 1937: „Licht unter Tage“ und „Frühlingsstürme“ hat Frank Behnke in Münster bereits inszeniert. Mit „Auf der Flucht“ schließt er nun in Meiningen den Kreis. Eigens dafür übersetzt und in eine Kammerspiel-Fassung gebracht, merkt man deutlich, dass diese „Flucht“ für eine große Theatertruppe gedacht war. Sicher war es klug, es „auf den Kern zu konzentrieren“ (Behnke), aber hier fehlen den Figuren die Wurzeln und das Herkommen. Die Darstellerinnen und Darsteller haben kaum Zeit, um mehr als ein paar Sätze zu sagen und sich irgendwie dazuzustellen. Gefängnisfolter exklusiv für Schwarze wird da ebenso angetippt wie über die Wohltätigkeitsliga gemosert, die in Behnkes Inszenierung nur bunten Flitter hinterlässt.

Zwischen Glory und Terry (in Schößchenlederjacke) wechselt die Knarre beiläufig von Hosenbund zu Hosenbund, ehe die Gefühle überschießen, in banalen Sätzen wie „was ist das zwischen uns?“ Dazu kommt allzu Offensichtliches: Zündler Abel tut eben das und kratzt sich den Hals, der dem Galgen entgangen ist. Und natürlich rieselt, zu dunklen Gitarrentönen, viel Schnee – schließlich spielt das Stück zwischen Weihnachten und Neujahr. Das Publikum aber bekommt kaum Gelegenheit, eine Verbindung, gar Gefühl zu den Figuren aufzubauen. Nur Chuck, wie Matthias Herold ihn spielt, weckt so etwas: Er putzt eifrig die Herberge, um einen Platz in der Welt zu haben; versäuft seinen Spaten, den er für einen Job bräuchte – und klaut dem ohnehin geschlagenen Leo einen wertvollen Ring.

Zu selten auch kommt die Inszenierung auf den Punkt. Etwa wenn der Vater ohne Vornamen die blutgetränkte Matratze des inzwischen toten Carl „desinfiziert“ und lakonisch umdreht oder wenn er, den Kapitalismus predigend, Sohn Leo wohl zum ersten Mal fragt, was der eigentlich will. Warum der in diesem Asyl nächtigt, bleibt wie vieles unklar in diesem Stück und seiner Inszenierung. Im Publikum regte sich 105 Minuten lang wenig – gefolgt vom obligatorischen Jubel.