Das Ensemble steht zu viert auf der Bühne. Alle sind in bunte Perücken und Anzüge gekleidet.

Viel zu gut gemeint

Nuran David Calis: Leaks. Von Mölln bis Hanau

Theater:Schauspiel Frankfurt, Premiere:14.12.2024 (UA)Regie:Nuran David Calis

Nuran David Calis‘ Stück „Leaks. Von Mölln bis Hanau“ bringt am Schauspiel Frankfurt politische Satire im Talkshow-Format auf die Bühne: ein kreativer Ansatz, der nicht ganz aufgeht.

Überbietung durch Addition heißt die Devise. „Heute Show“ und „ZDF Magazin Royale“ zeigen sich zu einem gemeinsamen Format verbündet. Kabarettistische Abrechnung und Recherche, Ensemblegeist und Anchorman, sie alle schließen sich zusammen, um in einhundert Minuten die unheilige Allianz von Sicherheitsbehörden und Neonazis seit der Gründungsphase der Bundesrepublik bis auf den heutigen Tag nachzuzeichnen und anzuprangern.

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Spitzenbeamte der Adenauerzeit mit Karrieren schon während des Regimes der braunen Bande wie der Chef des Bundeskanzleramts Hans Globke und der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes Reinhard Gehlen passieren in den Kabarettnummern und Referaten ebenso Revue wie der einstige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen. Doch zeigen sich nicht allein die prominenten Köpfe als von brauner Ideologie durchseucht, vielmehr erweisen sich in ihrem Gefolge Staatsdiener bis hin zu den Kriminalkommissaren und Schutzpolizisten als infiziert.

Kein Wunder, dass die Opfer der Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds lange im Kontext von angeblichen Machenschaften migrantischer organisierter Kriminalität beargwöhnt wurden. In Hanau eingesetzte Polizisten bekundeten in ihren Chats offen Neigung zu rechtsextremem Ungeist. So trachtet der Staat denn nach Regisseur und Autor Nuran David Calis‘ Dafürhalten von Anbeginn der bundesrepublikanischen Geschichte, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben: Nazis sollen Nazis beobachten und den Staatsanwaltschaften Material zu deren Anklage liefern. Pech nur, dass der braune Mob sein nun blau gefärbtes Unwesen längst in aller Öffentlichkeit treibt. Die Schlapphüte vom Verfassungsschutz fürchten, überflüssig zu werden.

Agitprop

Sicher, Calis packt ein Thema an, das der Zivilgesellschaft auf den Nägeln brennen sollte. Doch leistet er der guten Sache Bärendienste. Denn „Heute Show“ und „ZDF Magazin Royale“ mögen zu allem möglichen taugen, an einer sich durch sieben Jahrzehnte erstreckenden Chronologie scheitern sie. Nicht zufällig sind sie auf unter eine Stunde Sendedauer beschränkt. Einhundert Minuten überfordern solche Formate hoffnungslos. Zumal, wenn jeder Anflug des Komödiantischen fehlt. Der Text, sofern auf Lacher zielend, kommt als müder Witz daher. Die Pointen verpuffen. Keine einzige bleibt im Hals stecken.

Wie sarkastisch die Attitüde der Figuren auch zu sein vorgibt, beständig dringt oberlehrerhafter Ton durch. Ganz offenbar überträgt sich das Dozierende der für das Stück befragten und per Video eingespielten Zeugen mit wissenschaftlicher Expertise auf die Spielenden. Von Unterhaltung nicht die Spur, hingegen Agitprop in Reinform. Da hilft es auch nichts, wenn Calis als sein eigener Regisseur das vermeintlich Clowneske des Stücks bedienen möchte.

Dies einschließlich des inflationären Bestrebens, den Hang zum Hitlergruß zu unterdrücken: Was einst Peter Sellars in Kubricks „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ ätzend komisch transportierte, verbraucht sich in Frankfurt allzu bald. Anne Ehrlich stellt ein passend zu den von Calis zitierten TV-Formaten ausstaffiertes Studio auf die Bühne. Hingucker sind Anna Sünkels Clowneskes, Uniformes und Showbizz kombinierende Kostüme: Das hat Witz und ist abgrundtief fies. Eine Wucht.

Die Spielenden holen aus der Novität heraus, was sie nur hergibt. Christoph Bornmüller (Roberto) fungiert als eine Art Anchorman. Auch Katharina Linder (Coco), Viktoria Miknevich (Donatella) und Wolfgang Vogler (Tom) legen sich mit Verve ins Zeug.

Nuran David Calis ist für die deutsche Gegenwartsdramatik unverzichtbar. „Leaks. Von Mölln bis Hanau“ freilich landet in einer Sackgasse. Zu hoffen steht, einer mit Wendehammer.