Foto: Im Zimmer Luisas (Olesya Golovneva): mit Rodolfo (Giancarlo Monsalve) und Vater Miller (Boris Statsenko). © Hans Jörg Michel
Text:Andreas Falentin, am 5. Juli 2013
Der sogenannte „frühe Verdi“, die Opern vor „Rigoletto“ und „Traviata“, gilt als extrem schwierig zu inszenieren. Die Dramaturgen vermissen musikalische und dramatische Substanz und inhaltliche Brisanz, und setzen die Stücke gleichwohl immer wieder als „interessante“ Raritäten auf die Spielpläne, auch gerne konzertant. Dabei scheinen diese wilden, Gegensätze nie zuschminkenden Melodramen eigentlich wie geschaffen zu sein fürs theatralische Experiment jenseits des Erzähltheaters.
Für die Duisburger „Luisa Miller“, nach Schillers „Kabale und Liebe“, scheint das Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer den Weg zu weisen. Er stellt ein von Kinderhand liebevoll bemaltes, weißes Häuschen gegen einen monströsen, angefaulten Wald aus astlosen, geraden Stämmen, umwuchert von Zivilisationsmüll. Tiefenpsychologisch unterfütterter Schauplatz des theatralischen Kampfes zweier abstrakter Prinzipien? Rein gegen schuldig, Liebe gegen Macht und Besitz, mit Miller, Luisas Vater – sein merkwürdiges Kostüm scheint darauf hinzuweisen – als Wanderer zwischen den Welten?
Carlos Wagner nimmt diese Vorlage seines Bühnenbildners nicht auf, oder besser: nur teilweise. Er findet durchaus starke Bilder, wie die wiederkehrenden beweglichen Strichzeichnungen bei der sehr kindlich angelegten Luisa, einer Art Alice, gefangen in zwei Wunderländern. Oder das als höfisches Tänzchen aufbereitete Bassduett, indem sich Walter und Wurm gegenseitig ihrer verbrecherischen Vergangenheit versichern. Diese Momente der Überstilisierung bleiben jedoch Inseln zwischen viel pseudorealistischer Psychologelei und Standardgesten aus der Opernfibel. Und so wirken die aus Musik und Text klar entwickelten Einzelheiten zwar charmant, letztlich aber nicht erhellend, sondern flach und abwegig.
Dabei ist „Luisa Miller“, Verdis letzte Oper vor „Rigoletto“, ein reiches Stück mit packenden dramatischen Zuspitzungen, schon weit entfernt von der klassischen Nummernoper. Kompositorischen Drahtseilakten wie dem groß angelegten a-cappella-Quartett im zweiten Akt steht eine durch und durch idealisierte und trotzdem blutvolle, sehr menschliche Hauptfigur gegenüber. Olesya Golovneva führt das als Luisa ergreifend vor, mit leuchtendem, bruchlosem Sopran, frei schwingenden Koloraturen und darstellerischer Totalidentifikation. Überhaupt wird größtenteils hervorragend gesungen. Thorsten Grümbel spinnt als Walter mit flexiblem Bass delikate Gesangslinien, die oft mehr über die Dramaturgie des Stückes verraten als die Inszenierung und Boris Statsenko legt den von der Regie ziemlich allein gelassenen Miller zwar zu Beginn stimmlich etwas repräsentativ an, findet aber im Laufe der Vorstellung zu berührender musikalischer Darstellung. Die Leistung des – stark angeschlagenen oder grotesk fehlbesetzten – Giancarlo Monsalve als Rodolfo besteht allerdings ausschließlich im Durchhalten.
Giordano Bellincampi geht den Abend knallig-sachlich an, mit transparent leuchtenden Crescendi, aber gewaltigen Phonstärken im Tutti-Klang. Ab dem zweiten Akt schaltet er einen Gang zurück und stellt, wenn auch etwas rau, die speziellen Farben der „Luisa Miller“ – Partitur heraus, die immer wieder fast brutal an die Klangoberfläche schießenden tiefen Streicher oder die fast hypnotische Dominanz von Soloflöte und –klarinette. Das ist dann „echter Verdi“.