Foto: Szene aus "Indien" am Hamburger Ohnsorg-Theater. Markus Gillich und Horst Arenthold © Sinje Hasheider
Text:Dagmar Ellen Fischer, am 15. März 2013
Rührseligkeit hat keine Chance – der Tod in Indien ist sprachlos und laut: Ein Presslufthammer dröhnt dem Publikum während der finalen Sterbeszene die Ohren voll. Lärmend geht damit nach 80 Minuten eine gelungene Inszenierung von Regisseur Jasper Brandis zu Ende, die als erste abendfüllende Premiere die kleinere Spielstätte im Hamburger Ohnsorg Theater einweiht: Die Studiobühne im ersten Stock steht dem populären Theater mit plattdeutschem Schwerpunkt seit dem Umzug in der vergangenen Spielzeit zur Verfügung.
Dieser Raum verwandelt sich für „Indien“ in eine rustikale Kneipe (Bühne und Kostüme: Andreas Freichels) mit Tresen, Tischen und Stühlen, Zuschauer und Darsteller treffen auf einer Ebene aufeinander. Schon beim Einlass schlurft der Wirt (Dieter Schmitt) mürrisch zwischen den Gästen umher, und die nehmen Platz an kleinkarierten Tischdecken. So entsteht gleich die passende Atmosphäre für die Handlung: Die Inspektoren Klaus Mansholt und Stefan Leonhard quälen sich durch die norddeutsche Provinz, von einer Gaststätte zum nächsten ungastlichen Etablissement. Ihre Aufgabe besteht im Überprüfen von Sicherheitsbestimmungen und Hygienezuständen, konkret: Sie testen Feuerschutztüren, Duschköpfe und die dörfliche Speisekarte. Und weil sich die beiden ungleichen Kollegen auch noch gegenseitig das Berufsleben schwer machen, bricht sich der unterschwellige Konflikt eines Abends in einer ungemütlichen Schänke unkontrollierte Bahn – Alkohol, privater Stress und aufgestauter Frust tun ein Übriges. Diese eruptive Entladung erweist sich jedoch als der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, und fortan entdecken der eher wortkarge, vom Leben enttäuschte, ältere Mansholt (Horst Arenthold) und der besserwisserische, spießige Indien-Fan Leonhard (Markus Gillich) Gemeinsamkeiten, ja mehr noch: Sie verstehen und trösten sich! Als wenig später beim Jüngeren unheilbarer Hodenkrebs diagnostiziert wird, gelingt es seinem Kollegen, ihn würdevoll bis zum Tod zu begleiten.
Josef Hader und Alfred Dorfer, die vermutlich erfolgreichsten Kabarettisten Österreichs, schrieben sich die Tragikomödie auf die eigenen Leiber und standen ab 1991 damit auf der Bühne; der gleichnamige Film aus dem Jahr 1993 machte die beiden als Autoren und Schauspieler über Nacht – und über Österreichs Grenzen hinaus – bekannt. Im Original reisen die zwei gegensätzlichen Charaktere durch die heimatliche Provinz, dabei nörgeln und streiten sie im Wiener Dialekt. Für die plattdeutsche Erstaufführung übernahm Cornelia Ehlers die Übersetzung, sie hat als Dramaturgin auch die künstlerische Leitung der Studiobühne im Ohnsorg Theater inne. Und ihr Text klingt, als sei er im platten Land geboren und aufgewachsen. Jasper Brandis‘ erste Regiearbeit an diesem Haus funktioniert in der geradezu naturalistischen Szenerie bestens, er kürzt deutlich, unterlegt Umbaupausen mit unsäglicher Tavernen-Musik und lässt die beiden Protagonisten auf engstem Raum konsequent aufeinanderprallen – sehr zum Unbehagen einiger Zuschauer, die der Augenhöhe und Reichweite zu den spielenden Kampfhähnen gern ausweichen würden.
In Indien glauben viele Menschen an Wiedergeburt, weiß Leonhard. Diese Vorstellung wirkt tröstlich auf beide Freunde, als der Tod näher rückt. „Ich hab einen Termin!“ beschreibt es der Sterbende scherzhaft und versucht sich den Übergang vorzustellen „wie Umsteigen in Süderbrarup“. Drastisch, zynisch, flapsig – bloß nicht rührselig.