„Die Dreigroschenoper“ am BE, hier: Cynthias Micas, Constanze Becker und Tilo Nest.

Nur ein Kessel Buntes

Bertolt Brecht, Kurt Weill: Die Dreigroschenoper

Theater:Berliner Ensemble, Premiere:13.08.2021Regie:Barrie KoskyMusikalische Leitung:Adam Benzwi

Selten hat ja ein Theaterstück die Geschichte einer Bühne so gründlich geprägt wie an diesem Ort – seit „Die Dreigroschenoper“, dieser sensationelle Durchbruch des Dramatikers Bert Brecht und des Komponisten Kurt Weill, uraufgeführt wurde vor 93 Jahren, im August 1928, im Theater am Schiffbauerdamm, das heute Berliner Ensemble heißt, direkt an der Spree und gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße. Die DDR-Kulturbürokratie überließ Brecht das Haus der Uraufführung bald nach 1953, um ihn im Ostteil der Stadt zu halten; der Theatermacher hatte den politischen Umgang mit dem Volksaufstand am 17. Juni deutlich kritisiert. Die aktuelle Intendanz am Berliner Ensemble will „Die Dreigroschenoper“ nun offenbar generell als Dauer-Angebot des Hauses etablieren – kaum war die zehn Jahre alte Fassung des Regisseurs Robert Wilson abgespielt kurz vor der Pandemie, kündigte Intendant Oliver Reese gleich die nächste an: Barrie Kosky, Intendanz-Kollege von der Komischen Oper in Berlin, sollte inszenieren – jetzt war Premiere.

Schon Brecht selbst war ja nicht zufrieden – der grandiose Erfolg der „Dreigroschenoper“ beruhe in erster Linie auf all dem, was ihm nicht so wichtig gewesen sei, meinte er im Nachhinein, deutlich politisiert in der Arbeit an Stücken wie „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ oder gar „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ gleich nach der Opernparodie. Haltbar bis heute blieb die aber gerade durch die immense Verführung zur Unterhaltung – und in dieser Hinsicht ist Barrie Koskys neue Fassung jetzt durchaus spektakulär: als wildes, wüstes Tingeltangel, aufgeplustert wie für den Broadway.

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Worum es Brecht womöglich wirklich gegangen wäre, interessiert ihn eher nicht. Wer zum Beispiel auf die ja bis heute einigermaßen aktuelle Frage danach wartet, was denn wohl ein guter alter Gauner-Dietrich gegen eine moderne Aktie von heute sei, was gar der schlichte Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank, der wartet vergeblich – politische Untertöne hat Koskys Team dem Klassiker sehr gründlich ausgetrieben. Das war zu erwarten, ist aber schon ein bisschen überraschend – an weniger weltberühmten Bühnen, auch in der sogenannten „Provinz“, wird seit geraumer Zeit deutlich mehr politisches Interesse auf den Klassiker verwandt.

Immerhin aber beginnt die Berliner Aufführung jetzt mit einem wirklich schönen Ton zum wirklich schönen Bild… Josefin Platt singt und spricht – nach der Ouvertüre der sehr toughen Band unter Leitung von Adam Benzwi – die berühmte Moritat vom Räuber Macheath; und dazu schaut sie wie der Mond über Soho durch den schwarzen Lametta-Vorhang, den Bühnenbildnerin Rebecca Ringst der legendären Volksbühnen-Ästhetik des viel zu früh verstorbenen Bert Neumann nachempfunden zu haben scheint. Der Mond also singt, übrigens auch nach der Pause wieder und ganz zum Schluss noch ein paar Strophen… auch sonst hat Koskys Team kräftig gekürzt und gestrichen.

Zum Beispiel die komplette Bande des Ober-Gangsters Macheath – das beschleunigt zwar das immer etwas lahme Hochzeitsbild im ersten Teil, führt aber auch zu einigen gedanklichen Leerstellen, wenn das Gegenüber fehlt im Dialog. Dafür sind einige Passagen dabei, die normalerweise (aus guten Gründen) fehlen – etwa die Begegnung von Mackie Messers Geliebten Polly Peachum und Lucy Brown am Beginn von Teil Zwei. Das Hin und Her zwischen Mordversuch mit Gin und liebevoller Versöhnung ist auch im Original eher unterkomplex. Aber immerhin wird da schön punkig gegrölt … wie generell recht unterschiedliches Gesangspotenzial an den Start geht.

Verblüffenderweise gelingen eher einzelne randständige Spiel- und Musikprofile am besten – mit Kathrin Wehlisch als Polizeichef Brown etwa mit Chaplin-Outfit und einem wunderbar quietschenden Rollwägelchen mit der Henkersmahlzeit drauf kurz vor Schluss; und bei Bettina Hoppes sehr anrührender Puffmutter Jenny, die den Ex-Geliebten sehr bewusst gleich zweimal verrät – als geschundene Frau und aus zerstörter Liebe…

Auch später fehlt noch einiges, und die Striche sind spürbar – Kosky wollte den Klassiker auf gar keinen Fall dekorieren, auch die Kernbühne von Ringst ist darum extrem anti-illusionär: eine Art Klettergerüst, wie ein Großstadt-Grundriss von oben betrachtet. In dieser Konstruktion müssen Akteurinnen und Akteure den eigenen Raum immer erst behaupten: Tilo Nest, Constanze Becker und Cynthia Micas als Familie Peachum und sogar Nico Holonics als mörderischer Verführer Mackie Messer. Der aber ist sich der eigenen Qualitäten als Rampensau extrem bewusst – und dass er als Sympathieträger aus der abgebrochenen Hinrichtung hervor geht, ist nur logisch. „Love me“ steht in Leuchtschrift über ihm; und er grinst schon wie vom Wahlplakat.

All das aber sind nur Einfälle, wie auch die Albernheit, Noch-Bürgermeister Michael Müller als Ersatz-Mackie Messer zu beschwören… zusammen gemischt, will all das wie eine wilde Mischung aussehen; ist aber doch nur „Ein Kessel Buntes“.