Foto: „Il ritorno d’Ulisse in patria” am Theater Basel © Judith Schlosser
Text:Georg Rudiger, am 8. November 2021
20 Jahre muss Penelope auf der Insel Ithaka warten, ehe ihr Gatte Odysseus vom Trojanischen Krieg heimkehrt. Immer wieder wird sie durch Freier bedrängt. Schließlich gibt die Verlassene nach und verspricht sich dem Mann, der Odysseus‘ Bogen spannen kann. Alle Freier scheitern, bis ein Greis die Aufgabe mühelos bewältigt und die Männer tötet. Es ist Odysseus selbst, der in seiner Verkleidung von Penelope aber nicht erkannt wird. Erst als der Fremde die gewebte Decke des Ehebetts beschreibt, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen.
Acht Ausländer als Odysseus
Am Theater Basel ist bei Claudio Monteverdis Dramma per musica „Il ritorno d’Ulisse in patria“ Odysseus gestrichen. Die Hauptfigur, die Ausgangs- und Zielpunkt für dieses Drama darstellt, kommt nicht vor, weil sie für Regisseur Krystian Lada nur eine Projektionsfläche darstellt. Acht Basler Männer mit Migrationsgeschichte sollen den antiken Helden ersetzen und von ihrem Leben in der Fremde erzählen. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Denn Odysseus kommt in seine Heimat zurück und ist letztlich Bestimmer, nicht Außenseiter. Auch die fehlende Musik der Hauptfigur wie das berührende Rezitativ „Dormo ancora o son desto“ wird an diesem Abend schmerzvoll vermisst. Die stattdessen eingespielten elektronischen Klänge und Geräusche von Nicolas Buzzi, die die eingesprochenen Texte der acht Migranten unterlegen, können nicht immer die musikalische Spannung weitertragen. Auch wenn das ambitionierte Regiekonzept im Detail knirscht, entfaltet der vom Publikum gefeierte Abend im Schauspielhaus große Theatralik. Die Bruchstellen werden vom spielfreudigen Ensemble zusammengehalten. Das im Orchestergraben und auf einem Gerüst postierte La Cetra Barockorchester Basel (Leitung: Johannes Keller) sorgt für musikalischen Fluss, Farben und Stimmungen.
Menschliche Götter
Die Götter tragen in Basel weiße Unterhosen (Kostüme: Bente Rolandsdotter). Und sind auch sonst allzu menschlich, wenn sie zu Beginn herumalbern und mit einem Plastikbogen schießen oder sich wie Neptun (Alex Rosen mit mächtigem Bass und viel Brusthaar) auch mal in die Schmollecke zurückziehen, weil Jupiter (mit Charme und Tenorglanz: Rolf Romei) es ihm nicht recht machen kann. Mit seinem schwerelosen, betörenden Altus ist Théo Imart in gleich drei Rollen (Amor/Juno/Amphinomos) musikalisch ein echter Glückbringer. Und Minerva (mit schlankem Sopran: Stefanie Knorr) stampft auch mal auf den Boden, um sich Gehör für ihre feinen Verzierungen zu verschaffen. Penelope steht ganz im Zentrum der Inszenierung. Sie ist gefangen in ihrer weißen Zelle (Bühne: Didzis Jaunzems). Hier erfährt Katarina Bradić im Prolog die menschliche Zerbrechlichkeit. Hier wird sie von den drei Freiern, die von den als Menschen verkleideten Göttern verkörpert werden, heftig bedrängt. Aber diese Penelope bleibt dank Bradićs dunklem, tragfähigem Mezzosopran stark und widerstandfähig, zeigt aber auch gegenüber ihrem Sohn Telemachos (präsent: Jamez McCorkle) ihre weiche Seite.
Lange Zeit bleiben die acht Männer, die als Odysseus-Ersatz vom Hirten Eumaios (brillant: Ronan Caillet) willkommen geheißen werden, Statisten. In den Texten aus dem Off erfährt man nur wenig von ihnen. Sie sprechen über die Sehnsucht nach der Mutter und die Distanz der Schweizer, über vertrautes Essen und fremde Geschäftigkeit. Den Schmarotzer Iros, der von den Freiern verköstigt wird, macht die Regie zum ausländerfeindlichen Wutbürger mit Gummistiefeln und Giftspritze auf dem Rücken. Schauspieler Martin Hug bewältigt die gesanglichen Herausforderungen wie die Lamento-Parodie zu Beginn des dritten Aktes mit vollstem Einsatz. Und lässt vor dem Selbstmord noch ein paar Hetzreden auf Schwyzerdütsch ab. Am Ende werden die acht Männer, die sich in den Zuschauerraum gesetzt haben, vorgestellt. Leandro aus Portugal, seit drei Jahren in der Schweiz. Boris aus Hongkong, der zuvor lange in London lebte. Jeder steht auf, lächelt ins Publikum und wird von Penelope mit einem freundlichen Winken begrüßt. „Nun erkenne ich dich!“, singt sie, eigentlich für Odysseus, in Basel für die acht Ausländer. Fast zu schön, um wahr zu sein.