Foto: Der Kardinal (Zoltan Nyari) und die Klimakleber © Pedro Malinowski
Text:Andreas Falentin, am 2. Oktober 2023
„Mathis der Maler“ von Paul Hindemith ist am Staatstheater Nürnberg kein Künstlerdrama aus dem 16. Jahrhundert: Der regieführende Intendant Jens-Daniel Herzog siedelt das Werk im 21. Jahrhundert an. Das ausgezeichnete Sängerensemble sowie der neue GMD Roland Böer und die Staatsphilharmonie Nürnberg werden dem Stück musikalisch gerecht.
Hindemiths Künstlerdrama „Mathis der Maler“ spielt im Bauernkrieg im 16. Jahrhundert. Durch ein Video, das zur Ouvertüre abgespielt wird, hat Regisseur Jens-Daniel Herzog das Stück in die Gegenwart verlegt. Hier bilden die Hauptpersonen, der Maler Matthias Grünewald, der Bischof und Kurfürst Albrecht von Brandenburg, die Bürgerstochter Ursula Riedinger und der Bauernführer Hans Schwalb eine Kommune in den 70ern. Es geht um Angela Davis und den §218. Später, auf der Bühne, alle sind älter geworden, geht es sogar um Klimakleber.
Dreiecksgeschichte statt Zweier-Gegensatz
Hindemiths Figurenkonstellation stellt die verschiedenen Menschen nah zueinander – übrigens fast alles nach historischen Vorbildern –, die Kirchenherren, Soldaten, Bürger und Frauen, die ständig darum kämpfen, nicht als Objekte angesehen zu werden. Sie kennen sich alle, haben Geschichte geteilt. Dennoch gerät die Konstellation unscharf. Im Mittelpunkt steht nicht mehr der Gegensatz zwischen dem zweifelnden Künstler, den Samuel Hasselhorn bewegend und nuanciert spielt und singt, und dem Renaissance-Menschen Albrecht, sozusagen ein deutscher Medici. Der spielt mit allen und der Kunst – mit großem Selbstvertrauen. Zoltan Nyari spielt und singt das perfekt.
Hier in Nürnberg geht es vor allem um die Dreiecksgeschichte mit Ursula (Emily Newton). Und die ist nicht besonders interessant. Auch, weil sie schon im Video am Anfang entschieden wird und Albrecht nach dieser Vorgeschichte in der heutigen Zeit als Kirchenmann lächerlich wirkt. Die wirre politische Lage des Bauernkrieges, die vielen Standpunkte, passen schwerlich ins 21. Jahrhundert: Wie spielt man heute eine Bücherverbrennung? Unmöglich, also sehr flüchtig und dekorativ? Und wer sind die Bauern, die auf der Bühne abgeschlachtet werden, in unserer Zeit? In Herzogs Regie sind das die Obdachlosen, die Benachteiligten. Dystopische Zukunftsmusik? Für unser Verständnis wird ein Extra-Schauspielermonolog ins Stück eingefügt.
Zoltan Nyari (Albrecht, l.) und Samuel Hasselhorn (Mathis, r.) im Atelier, Foto: Pedro Malinowski
In dem großartigen Sängerensemble ragen wortdeutlich heraus: Martin Platz (Rat Capito), Hans Kittelmann (Schwalb) und Almerija Delic (Gräfin Helfenstein). Der neue GMD Roland Böer stemmt das undankbare Riesenwerk mit der Staatsphilharmonie formidabel. Der Klang ist immer schlank, vibriert nicht, breitet sich nicht aus. Er bleibt voll und transparent, mit vielen, hörbaren Nuancen in der Instrumentierung, obwohl die oft laut und blechgepanzert ist. In dieser Musik geht es um Klänge, nicht um Melodien, das macht Böer ausnahmslos deutlich.
Am Schluss: ein Wunder
Vielleicht auch wegen dieser Leistung ereignet sich am Schluss ein Wunder: Ausgerechnet in der sechsten, vorletzten Szene, dem schwer zu fassenden Gleichnis, das auf dem Isenheimer Altar basiert, greift Herzogs Inszenierung am besten. Die Bilder und die vielen, oft nicht dechiffrierbarenen Zeichen sind originell und passen zueinander und zur Musik. Die Doppelbödigkeit des Gleichnisses, wo die Figuren der Handlung Figuren des Isenheimer Altars spielen, kommt heraus. Obwohl das Publikum den Altar nicht vor Augen hat und die neuen Identitäten der Figuren nicht kennt: abstrakt, aber sinnlich. Daraus gelingt sogar ein magischer Übergang ins Schlussbild: das Atelier von Mathis, hier ein Hauptschauplatz der Handlung, verwandelt sich zum Bildenrrahmen ohne Bild. Zoltan Nyari und besonders Samuel Hasselhorn rühren uns an, noch einmal und zusammen, mit vielen leisen Tönen und fein gesetzten Klängen. Plötzlich stimmt alles. Und die Zeit spielt keine Rolle mehr.
Schlussbild: Der Künstler (Samuel Hasselhorn) resigniert, Foto: Pedro Malinowski