Motorroller statt Pferd, Cap statt Rüstung
Im dem zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Werk zieht der weltfremd gemachte Jugendliche auf lahmendem Pferd mit lachhaftem Aufputz aus, um ein Ritter und Held werden. In Kieran Joels Inszenierung sind es Motorroller, Cap und Rucksack. Die Glücksverheißungen heute kommen freilich nicht mehr aus der Schale mit dem Blut Christi und deren Wundergaben für Leib und Seele, sondern aus vom Screen gellenden Werbebotschaften.
Ein Neonschriftzug bläut ein und hämmert: „You Can Be a Hero“. Gerüst, rote Baumstämme, ein gerötetes Plastikkrokodil, eine Tuchbahn und blutroter Stanniolregen sind Barbara Lenartz Ausstattungsmittel auf der offenen Bühne. Lenartz‘ Kostüme haben gegenwärtige Kargheit, minimal schlampige Opulenz und die Lässigkeit à la Monty Pythons „Ritter mit der Kokusnuss“. Sascha Tuxhorns Erzählerstimme befeuert aus dem Off elegant, belustigt und mit sanftem Charisma. Sie liefert Faktenchecks, stellt aber auch Streitmaterial und Versuchsanordnungen mit dem Wissen um das unpsychologische Erzählen im hohen Mittelalter.
Textmengen mit Mut zur Lücke
Beträchtliche Textmengen bleiben in der Einrichtung von Kieran Joel mit Dramaturg Fabian Schmidtlein, Mut zu Lücken zwangsläufig auch. Die Schnittstellen zwischen Heldenpflicht und Minnedienst der staufischen Klassik zum Liebes- und Glücksverlangen des 21. Jahrhunderts sind erstaunlich unmerklich. „Erst wird mir die Vergewaltigungsszene gestrichen und dann fickt mich das Leben.“ brüllt Sasha Weis als eine der vier Darstellenden für die Nebenfiguren, unter denen Wolframs beträchtliches Figurenarsenal aufgeteilt ist.
Es gab eine Aufzählung der aus Zeit- und Verständnisgründen entfallenen Figuren. Neben Djuren erhält nur Thomas Nunner als zu Beginn wild tötender Vater Gahmuret und als lädierter Gralskönig Amfortas Hauptrollen-Status. Die anderen balgen sich mit Kreischen und echten Handgreiflichkeiten: Ist es Folter oder Luxus, kein Held zu sein und stattdessen ein bequemeres Leben ohne die bittersüßen Stachel permanenter Publicity und auf ethischem Exzellenzniveau zu führen?
Held sein macht einsam
Gahmuret, der gemütlich gewordene Schlachtfeld-Schlächter, will Parzival vor dem eigenen Schicksal mit Starrummel bewahren. Denn Held-Sein macht einsam und frustriert. Matthias Luckey spielt erst den die runde Tafel in Campinggröße mit sich führenden Königs Artus, dann den Heiligen Gral im güldenen Lamé-Kleid. Luca Rosendahl gibt den grazilen, von Parzival mit Ohrfeigen und Gesäßklapsen ins Jenseits beförderten Ither, dann Parzivals bedingungslos liebende Gattin mit dem sprechenden Namen Conduiramour („Die zur Liebe führt“). Stephanie Leue zeigt die Erzieherfiguren – Gurnemanz für’s Höfische und Trevrizent für den inneren Adel – in herb rationalen Gesinnungsfarben. Hier sind die Textsprünge etwas zu ausladend, aber das ist der Preis für ausgefahrenen Liebesdiskurse.
Das Hickhack und Gezeter um Lust oder Frust des Nebenrollen-Status dauert den ganzen Abend an. Sie sind das Rüpelspiel zwischen den Episoden von Parzivals abrupt mit der Beförderung zum Gralskönig endenden Sinnsuche, in der Djuren dann doch einige Zeitlupenmomente erhält. Erst denkt man, das Improvisierte der Szenenfolge sei Prinzip. Später offenbart dieses sich als dichtes Gerüstnetz mit refrainartig wiederholten und variierenden Themensträngen.
Joel und Schmidtlein gelingen neben der Vergegenwärtigung wesentlicher Dimensionen von Wolframs Geisteskosmos eine mehr als passable Aphorismen-Suite zum Liebes- und Glücksbewusstsein. „Unter Verwendung der Übertragung von Dieter Kühn“ steht unter dem Titel ihrer komplexen Theater-Fassung. Das Sinn- und Handlungsgestrüpp des Stoffs bricht kurzweilig herein – schroff, zackig und mit Mut zum Paradox. Der „Parzival“ des Schauspiels, zehn Tage vor der Nürnberger Premiere von Richard Wagners Wolfram-Adaption „Parsifal“, wendet diese Sinnsuche und Aventüren-Kette in gewitzte Brutalität und ausnüchternde Komödiantik. Ein tiefernster Theater-Spaß.