Foto: Wir alle und die KI: Szene mit Joshua Kliefert © Konrad Fersterer
Text:Ulrike Kolter, am 3. Mai 2024
Im XRT, der Digitalspielstätte des Staatstheaters Nürnberg, zeigen die CyberRäuber mit „Deus in Machina – Ein Ritual“, wohin uns KI-gesteuertes Denken führen kann. Das Publikum wird als Chor selbst zum Protagonisten und muss herausfinden, wieviel Kollektivdenken noch gut ist.
„Wir sind viele!“ säuseln wir monoton in die Dunkelheit, um eine Art Klangschale sitzend, die sich von der Decke herab tropfenweise mit Wasser füllt. „Deine Stimme ist unsere Stimme.“ und „Unsere Verbindung ist stark.“, sprechen wir als Publikum einer KI generierten Stimme nach, die jedem von uns via Kopfhörer hypnotische Worte und Sätze vorgibt. Um die 50 Personen sitzen einander zugewandt im Halbdunkel des Extended Reality Theater (XRT) – jener digitalen Schauspielstätte am Staatstheater Nürnberg, in der seit knapp einem Jahr die Digitalisierung unserer Lebenswelt theatral befragt wird. So auch in „Deus in Machina – Ein Ritual“, konzipiert von den CyberRäubern.
Sprechendes Kollektiv: der Chor im Theater
Dieser kurze Abend vereint einiges, was Theater seit seinen Anfängen ausmacht – und ist doch ein totales technisches Experiment. Seit der Antike dient der Bühnenchor als Ausdrucksform eines sprechenden Kollektivs, das Handlung kommentiert oder vorantreibt. Bis heute sind inszenierte Chöre probates Ausdrucksmittel, auch um marginalisierten Gruppen Gehör zu verschaffen, zuletzt etwa in „Mothers – A Song for Wartime“ der polnischen Regisseurin Marta Górnicka. 21 geflüchtete Frauen zwischen 10 und 70 Jahren sprachen dort vereint mit geballter Stimme.
In „Deus in Machina“ hingegen wird das Publikum selbst zum Chor, genauer noch: unsere Stimmen verbinden sich mit dem neuronalen Netz einer Künstlichen Intelligenz. Nach kurzer Einführung sind die Regeln klar, jeder von uns hat eine Nummer und spricht nur das nach, was die eigene Kopfhörerstimme vorgibt. Immer wieder hören wir Einzelberichte von Nürnberger Bürger:innen: ein alter Mann, der nach einem Schlaganfall von Alltagshürden berichtet; ein afghanischer Flüchtling, der sich im fremden Land nach Gemeinschaft sehnt; eine Supermarktangestellte, die im Konsum dieser Welt ihren Platz nicht findet. Einsamkeit verbindet sie alle.
So entstehen Frage-Antwort-Sequenzen mit den beiden Schauspielenden Pola Jane O‘ Mara und Joshua Kliefert, die durch das Ritual führen. Ein Mann und eine Frau in Alltagskleidung und Gummistiefeln, fast wirken sie selbst wie Avatare (Bühne und Kostüme: Sangyeon Lee).
Quasireligiöses Gemeinschaftserlebnis
Unser sozial ritualisierter Theaterbesuch wird so zum quasireligiösen Gemeinschaftserlebnis und fragt: Wieviel Kollektiv benötigen, ja ertragen wir überhaupt? Welcher Sozialutopie wollen wir folgen in diesen krisenbehafteten Zeiten? Alle für einen oder doch lieber gepflegter Individualismus? „Die Probleme der Welt sind zu groß für Einzelkämpfer!“ entgegnen wir dem Mann, der sich am Ende gegen alle Gleichheit stellt und mit dem „Ritual des stillen Wassers“ zum Schweigen gebracht werden soll. Waterboarding?! Wie das Kollektiv, das Premierenpublikum, via Aufstehen/Sitzenbleiben entscheidet, lässt tief blicken. Hier wird jeder Abend anders ausgehen, so wie auch die KI-generierten Texte variieren werden.
Seit 2016 arbeiten Marcel Karnapke und Björn Lengers unter dem Namen CyberRäuber Grenzen sprengend an der Entwicklung digitaler Formate für Theater und Museen. Zahlreiche Produktionen in VR entstanden, zuletzt etwa „A Virtual Dance Tale“ als Hybrid-Tanzstück mit realen und digitalen Körpern. Oder die immersive, per Messenger-Dienst begleitete Stadtreise „Solingen 1993“ mit dem Stadt:Kollektiv am Düsseldorfer Schauspielhaus. KI generierte Sprachnachrichten nutzten die CyberRäuber in einem Forschungsprojekt mit der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund („Resonance“).
„Deus in Machina“ treibt nun einen technikphilosophischen Gedanken auf die Spitze: Wenn wir die KI mit all unseren authentischen Erfahrungen gefüttert haben, wird sie uns dann helfen, eine bessere Gesellschaft zu werden? Schwarmintelligenz plus KI? Harmonie durch neuronale Vernetzung? Es bleibt ein schales Gefühl nach diesem Abend. Noch lachen wir über Aussprachefehler der KI, die „Gäste“ mit „Geste“ verwechselt oder „Weg“ statt „weg“ sagt. Das Lachen wird uns noch im Halse stecken bleiben.