Foto: Brüder, zur Fahne, zur Freiheit: Jarrett Ott als Chou En-lai mit Maos silbernen Garden © Matthias Baus
Text:Detlef Brandenburg, am 8. April 2019
Der republikanische US-Präsident Richard Nixon genießt nicht gerade den besten Ruf. Aber sein heutiger Nachfolger Donald Trump wird es sicher noch schaffen, diesen Ruf durch eigenes Tun in den Schatten zu stellen. Gezielte innenpolitische Desinformations-Kampagnen, außenpolitische Intrigen gegen seine Konkurrenten im Land, unsägliche verbale Ausfälle, das kriminelle Ausspionieren des Gegners im Rahmen der Watergate-Affäre – für vieles von dem, was Donald Trump heute seinen Gegnern und der ganzen Welt zumutet, hat Richard Nixon im Laufe seiner politischen Karriere von 1946 bis 1974 die Blaupause geliefert. Nur leider nicht für das Ende der Ära Trump: Unter dem Eindruck eines drohenden Impeachment-Verfahrens trat Nixon 1974 als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zurück. Davon ist Donald Trump gerade jetzt weiter entfernt denn je.
Heißt das, dass eine Oper über Richard Nixon zwangsläufig eine „Watergate-Oper“ sein muss? Nein, natürlich nicht. Denn dieser Präsident hatte viele Seiten. Er gründete die erste nationale Umweltbehörde der USA und setzte das Umweltthema auch auf die internationale Agenda, war der Initiator des ersten Abrüstungsvertrags mit der UdSSR, reiste 1972 nach China und fand sich mit Mao Zedong zu einem berühmten Händedruck, gab Geld für den Kampf gegen Krebs. Wenn etwas an diesem Mann interessant ist, dann ist das nicht „Watergate“ allein, sondern diese eigenartige Ambivalenz.
Insofern ist schon der Titel von John Adams’ Oper „Nixon in China“ nach einer Idee von Peter Sellars und einem Libretto von Alice Goodman eine programmatische Aussage: Hier solle es eben nicht um den Watergate-Nixon gehen, sondern um den anderen, den versöhnenden Nixon, der 1972 China aus der Isolation befreite und damit auch die Fronten der US-amerikanischen Südostasien-Kriege gegen „rotchinesische Vertreterstaaten“ wie Nordvietnam oder Nordkorea (so schwarz-weiß wurden damals die Weltbilder gemalt) ein Stück weit auflöste. Soll man diese Oper also als Versuch der Neubewertung eines zu oft zu einseitig wahrgenommenen Präsidenten interpretieren? Dann bliebe aber dennoch irritierend, dass das Nixon-Bild von Adams und Goodman seinerseits arg einseitig geraten ist – so, als sei bei Nixon außer chinesischen Reisespesen nichts gewesen. Gerade unter dem Eindruck der aktuellen US-Präsidentschaft fällt es schwer, sich damit zufriedenzugeben. Auch die etwas verblasenen Meta-Interpretationen, mit denen die Autoren ihr Werk beweihräuchert haben, helfen nicht wirklich. Eine „heroische Oper“ solle es sein, keinesfalls eine Karikatur. Nixon und Mao Helden also, nun ja. Und die indifferent preziöse Sprache, die Goodman diesen Helden mit ins Bühnenleben gegeben hat: Wird hier nicht „Poesie“ zur Lizenz für verschwurbelte Unentschiedenheit?
Macht aber ja nichts: Die Musik, die einen tollkühnen Kreuzspagat zwischen Minimalismus, Musical-Drive und großer romantischer Oper hinlegt, ist äußerst attraktiv. Und wie ein Werk auf der Bühne herüberkommt, steht ja auch in der Macht des Regisseurs, der ihm szenisch genau die aktuelle Entschiedenheit geben kann, die Text und Dramaturgie verweigern. Anfangs vermittelte Marco Štorman an der Staatsoper Stuttgart tatsächlich den Eindruck, er wäre der richtige Mann für so einen Zugriff. Wir sehen, wie die silbern uniformierten Mao-Jünger eines sehr absichtsvoll artifiziellen Fantasy-Chinas (Bühne: Frauke Löffel, Kostüme: Sara Schwartz) mit Magazinen und roten Mao-Bibeln zum eigenen Besten indoktriniert werden. Wenn dann Nixon landet (die Air Force One ist lediglich eine bühnenhohe Metallgitterwand), ist der US-Präsident schier verzückt von der Aussicht auf die mediale Präsenz, die diese Reise ihm in den heimischen Medien verschaffen wird. Doch er hat die Rechnung ohne den Gastgeber gemacht. Denn Propaganda: Das können Maos kulturrevolutionäre Rote (hier silberne) Garden unter der Führung seiner Gattin Jian Qing auch!
Bei Štorman können sie es sogar weit besser als Nixon und seine Frau Pat, die sich alsbald als Laiendarsteller einer vogelwilden kommunistischen Volksbeglückungs-Show wiederfinden, in der Komparsen und Choristen ein ganzes Feuerwerk aus Tableaux Vivants im Geiste kulturrevolutionärer Volksheldenglorifizierung abbrennen. In seiner stilisierten Bewegungschoreographie, seiner verfremdenden Künstlichkeit und mit den bis auf die Ränge ausgreifenden Aktionen ist das ein brillantes und äußerst unterhaltsames Raumtheater. Und man muss es Štorman und seinem Team hoch anrechnen, das es sich hier allen Realismus versagt. Einmal, als Mao auf der Bühne erschienen ist, informiert uns sogar ein Schriftband: „Ceci n’est pas Mao Tse Tung“. Mit den besten Empfehlungen von Meister B.B.. In der Tat: Durch die Umkehrung der Vorzeichen gerät die Handlung in die Nähe zu Trumps desaströser Nordkorea-Diplomatie, mit der der sich zum propagandistischen Handlanger von Kim Jong-un gemacht hatte, und zu einem modernen China, das mit digitaler Zensur und multimedialer Propaganda der Welt seine eigene Fake Reality präsentiert. Nur leider hat sich diese Pointe ziemlich bald verbraucht, man weiß schon nach dem ersten Bild, wie der Hase läuft. Und ab dann läuft er mit immer neuen Bildern immer weiter in dieselbe Richtung. Abgesehen vom letzten Akt, wo die Oper in etwas zielloser The-Show-is-Over-Melancholie vor sich hin menschelt und die Inszenierung die Figuren halb aus ihren Rollen heraustreten lässt – und die Zuschauer damit überrascht, dass das Orchester fort ist und sein Klang per Lautsprecher zugespielt wird.
Adams’ Musik, wie gesagt, die macht einem ja auch Freude, was André de Ridder durch sein mitreißend animierendes Dirigat gut herüberbringt. Der Drive fiel allerdings bei der Premiere recht pauschal aus. Adams’ schillernde Vielschichtigkeit klang etwas breiig und laut, weil die Konturen nicht klar gezeichnet, die Farben nicht subtil abgetönt, die Motive nicht fein geschliffen waren. Manchmal wackelte sogar die Koordination. Großartig dagegen die Sängerbesetzung: Matthias Klink war ein tenorheller, klar konturierter und bestechend scharf charakterisierter Mao. Jarett Ott gab dem chinesischen Außenminister Chou En-lai eine wunderschöne Legato-Lyrik mit ins Bühnenleben, in den vielen wortreichen Dialog-Passagen dann aber auch einen perfekten rhetorischen Schliff. Michael Mayes stellte den Nixon brillant dar als vierschrötigen weißen Mann aus der US-Provinz und gab ihm einen weich-wuchtigen, sehr raumfüllenden Bariton. Und Katherine Manley sang die nicht unbedingt dankbare Rolle der Pat Nixon – sie firmiert als das Dekorations-Blondine an seiner Seite – mit einem bezaubernd leuchtenden, klar fokussierten und technisch perfekt geführten lyrischen Sopran. Shigeo Ishino war ein Henry Kissinger von charakteristischer Kantigkeit, Gan-ya Ben-gur Akselrods Madame Mao hätte dagegen ein bisschen mir Brillanz und Biss haben dürfen. Der Chor brachte seinen Riesenpart nicht ganz ohne koordinatorische Kursabweichungen, aber ausgesprochen klangvoll über die Bühne.
Das Publikum war schier aus dem Häuschen. Der attraktive Musical-Appeal sowohl des Werkes wie auch der Inszenierung tat seine Wirkung, der Schlussjubel für alle Beteiligten hätte auch jeder „Aida“ zur Ehre gereicht. Entertainment at it’s best. So schön kann Propaganda sein.