Foto: Barbara Nüsse (Chor), Patrycia Ziolkowska (Chor), Sebastian Zimmler (Bote) und Sebastian Rudolph (Chor) interagieren auf der Bühne. © SF/Armin Smailovic
Text:Regine Müller, am 4. August 2024
Regisseur Nicolas Stemann zeigt am dritten Wochenende der Salzburger Festspiele in seinem Stück „Orestie I – IV“ die Entstehung und den Verfall des Demokratiegedankens im antiken Griechenland: eine aufwendige und komplexe Inszenierung, die ihre Wirkung verfehlt.
Im nüchternen Arbeitslicht lungert allerhand Personal auf der Bühne herum: Schauspielerinnen und Schauspieler, Technik-Leute, Leitungsteam. Rechts sitzt eine dreiköpfige Band, die einstweilen nur liegende Synthie-Klänge produziert. Eine Situation, wie in einer Probenpause. Dann kommt ein Mann in betont aufgeräumter Stimmung auf die Bühne, Typ Motivationstrainer und sagt einschmeichelnd „Guten Abend!“
Der Mann ist Nicolas Stemann, Regisseur des Abends und Überschreiber der antiken Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides. Stemann erläutert kurz den Ablauf, macht Witzchen und nimmt die Sorge vor allzu großer Schwere des Sujets. Im Trailer zur Produktion erläutert er, er habe die Sprache vereinfachen wollen. Fragt sich nur, ob ausgerechnet die Salzburger Festspiele der richtige Ort dafür sind. Hier sitzt ein Publikum, das womöglich tags zuvor bereits eine vierstündige Oper auf einen hoch komplexen Dostojewski-Text stürmisch bejubelte. Schwellenangst ist kein Thema in Salzburg.
Stemann hat sich vier Tragödienstoffe vorgenommen, zwischen deren Entstehung etwa 50 Jahre liegen. Teil I nennt er „Agamemnon“ auf den Text von Aischylos. Es folgen „Elektra“ von Sophokles, die „Eumeniden“ von Aischylos und schließlich als Satyrspiel „Orestes“ von Euripides. Er möchte am Beispiel der Antike zeigen, wie die Kraft zur Wahrung der Demokratie im Lauf der Zeit rapide abnimmt. Es geht um die Überwindung archaischer Zyklen von Gewalt und Rache, um die Entstehung von demokratischen Prozessen und um deren Verfall. Um Fragen, die zeitlos aktuell und derzeit besonders brisant sind.
Katrin Nottrodt hat die Bühne weitgehend leer gelassen, sie zeigt die originale Rückwand des Raums, die später für ausufernde, einander überlagernde Video-Projektionen dient, sonst wird nur das Nötigste auf die Bühne gebracht und bald wieder entsorgt. Dann betritt Barbara Nüsse die Bühne: „Ich kann nicht mehr! Zu lange muss ich schon hier warten“ ruft sie mit knorriger Stimme in den Saal. Es sind Worte des Wärters, der im Prolog zu „Agamemnon“ auf das Flammenzeichen wartet, das „den Sieg der unsrigen in Troja“ verkündet.
Zu viel des Guten
Nüsse spielt wie ihre weiteren vier Kolleginnen und Kollegen viele Rollen neben dem Wächter: Elektra, eine der Erinnyen und schließlich Pylades. Außerdem spricht sie wie alle mit, wenn der Chor gefordert ist. Allerdings gelingt es Stemann nicht, das chorische Sprechen genau zu synchronisieren. Hier aber klappert es, die Stimmen klingen oft durcheinander, womit der Text teils schwer verständlich wird.
Kostümbildnerin Sophie Reble hat dem Quintett im ersten Teil Toga-ähnliche Gewänder geschneidert, auf die Teile antiker Skulpturen aufgedruckt sind. Darunter trägt das Ensemble Jeans und Sneaker. Später kommt typischer, längst übergesehener Theater-Trash-Schick auf die Bühne: Hohe Hacken für Patricia Ziolkowska (Chor, Klytaimnestra, Athene, Menelaos, Helena) und für alle Pailletten, Flitterkram und alberne Perücken. Dann gibt es noch einen vierköpfigen singenden Chor und steigenden Video-Einsatz. Meistens müssen Elektra, Orest und all‘ die anderen sich auch noch selbst filmen. Dazu spielt die Band aufreizend banale Plingpling-Lounge-Musik, nur selten kommen vitale Akzente von der rechten Seite.
Revue des Grauens
Das Ganze ist gebaut wie eine Revue. Die Rollen wechseln ständig, was man kaum mitkommt. Gewalt und Krieg sind in aller Munde und in den antiken Tragödien das beständige Hintergrundrauschen. Hier werden laufend Ausdrucke heutiger Kriegsbilder an die Wand geklatscht und wieder abgenommen. Aber der Ernst der Lage bleibt irgendwie Behauptung, zumal die auf der Bühne sichtbaren Mord-Szenen als Slapstick-Nummern inszeniert sind. Da rutscht das Beil ab, oder man beschmiert sich schon mal vorab selbst mit Theaterblut.
Der Abend kommt nicht in die Gänge, zumal das famos besetzte Ensemble ja immer wieder wechseln muss und selbst nicht warm werden kann mit den Figuren. Genau das aber ist ja erwünscht. Und ermüdet mehr und mehr, während der Abend zunehmend ins Klamaukige abrutscht. Beim Satyrspiel „Orestes“ schaut man schon verzweifelt auf die Uhr. Knappe vier Stunden dauert der Abend. Das Ergebnis ist dürftig, das Publikum reagiert freundlich, aber erschöpft. Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Thalia-Theater in Hamburg. Dort hat man Karin Beiers gewaltigen, fünfteiligen Antiken-Zyklus in bester Erinnerung. Mutig, dem in der gleichen Stadt etwas Vergleichbares entgegenzusetzen?