Man kann sich diesen Blicken nicht entziehen, sie saugen einen mit einer ungewohnten Intensität an, doch da man von mehreren Seiten angestarrt wird, kann man ihnen nicht adäquat begegnen. Der coronagewöhnte Mensch war die letzten Monate selten mit Fremden in einem Raum, die plötzliche Nähe verunsichert und macht bewusst, wie ungewohnt der zwischenmenschliche Kontakt geworden ist. „You look special“, sagt eine der Figuren mit einer befremdend freundlichen Stimme, die nicht von dieser Welt ist. Und man ist geneigt, es zu glauben. Auch wenn man Momente später hört, wie sie dasselbe zum nächsten Besucher sagt. Man läuft die Stationen zum Orakel von Delphi ab in diesem labyrinthischen Raum, die Meditationsliegen, den Stroboskopraum, schließlich das Orakel, ein Auge auf einem Bildschirm, das befragt werden will. Die Ebenen überlagern sich: Zu Beginn starrt einen ein Wesen aus einem anderen Raum durch eine Scheibe an. Wenig später steht man selbst hinter dieser (da hat man das Orakel schon befragt) und schaut wissend zurück auf die, die folgen. „Don’t look forward“, sagt das Wesen. „Look at the past.“ Der Weg zurück in die Realität kommt plötzlich und wird irreal: Auf einmal steht man draußen, als wäre nichts gewesen, kann kaum glauben, was hinter dieser Türe liegt.
Wenig später folgt die zweite Kammerspiel-Uraufführung dieses Abends: Felix Rothenhäusler hat Enis Macis „Wunde R“ inszeniert. Diesmal werden an die 15 Zuschauer in die Kammer 3 geführt, wo sie sich um ein kreisrundes Spielfeld frei bewegen können (und so dem tristen Gefühl abmontierter Sitzreihen entgehen). Zeynep Bozbay, Eva Löbau, Vincent Redetzki und Julia Windischbauer sitzen um einen Glastisch voll glitzernder Gelatine-Kuchen, die im Laufe der Vorstellung zu flüssigem Batz schmelzen werden wie auch die Fassade der Figuren zunehmend in sich zusammenfällt. Rothenhäusler platziert (wie er das im übrigen auch vor Corona schon gerne gemacht hat) sein Ensemble statisch auf feste Positionen und lässt Macis Texte mit verfremdeten Stimmen sprechen. Um Körperkult geht es da, um Training und das „Dünngewordensein“, das brutale Maßnahmen erfordert und „kein singuläres Ereignis“ ist, das im Urlaub pausieren kann. Schließlich: „Es ist jederzeit wieder rückgängig zu machen.“
Den Text muss man trotz einiger präziser Beobachtungen und skurriler Assoziationen doch eher belanglos nennen, da helfen auch zusammenhangslos eingeschobene Verweise auf Flüchtlinge oder auf Frauenbiographien und gescheiterte Emanzipationsversuche (wie Maci sie gerne in ihre Texte verwebt) wenig. Das ersehnte Wunder bleibt aus, es bleibt die Wunde.