Foto: Das Online-Plakat des Schauspiels Frankfurt © Benjamin Lüdtke/Schauspiel Frankfurt
Text:Andreas Falentin, am 29. Januar 2021
Die Befürchtung erweist sich als unbegründet. Zwei Namen stehen für „Video“ auf dem Besetzungszettel der eindeutig als Hörspiel ausgewiesenen Online-Produktion des Schauspiels Frankfurt. Aber Benjamin Lüdtke und Jan Walther haben nur eine Art Einheitsbühnenbild geschaffen, das visuell nicht bespielt wird. Eine brennende Kerze und eine Uhr, auf der sich der Minutenzeiger bewegt, bilden gemeinsam eine Art modernes Vanitas-Stilleben. Zeit vergeht, aber man muss genau hinschauen, um das wahrzunehmen. Und eigentlich ändert sich nichts, sondern geht nur immer weiter.
Das Bild trifft den Gestus von Wallace Shawns Monolog, den Martin Brüggemann behutsam und entschlossen neu zur Diskussion stellt, punktuell sowohl mit Soundeinspielungen versehen wie mit von verschiedenen Stimmen vermitteltem neuem Recherchematerial zum Thema. Dazu artikuliert Wolfgang Vogler plastisch und hält den Text souverän zwischen Erleben, Reflektieren und Erzählen. In den ersten Minuten gerät der Bibber des Selbstmitleids vielleicht eine Spur distanzlos, führt aber auch schnell auf die Figur hin. In jedem Fall wird uns vielleicht nicht ein Theaterstück, in jedem Fall aber ein Text von heute präsentiert.
„Das Fieber“ wurde 1990 in New York uraufgeführt. Die Deutsche Erstaufführung inszenierte Arien Zinger 1992 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Roland Renner. Wallace Shawn, auch ein durch skurrile Charakterrollen bekannter Schauspieler (etwa in Louis Malles „Wanya on 42nd Street“ oder Rob Reiners „The Princess Bride“), schrieb hier sein, neben „Mein Essen mit André“, erfolgreichstes Stück. Vor allem aber setzte er sich hier erstmals mit einem Themenkomplex auseinander, der seitdem sein schriftstellerisches Werk entscheidend prägt, zuletzt in dem 2020 in Buchform erschienen Essay „Nachtgedanken“.
Ein Mann hat beruflich ein armes Land bereist und muss die Armut und Ungerechtigkeiten verarbeiten, die ihm dort begegnet sind. Und schafft es nicht, in Shaws Monolog, und verzweifelt. „Der nächste Schritt wäre bewaffneter Kampf“, schrieb Matthias Matussek 1991 im Spiegel über das Stück. Man glaubt es, aber das spürt man nicht mehr. Hier hat sich „nur“ einer durch einschneidende Begegnungen in einer Spirale aus Schuldkomplex und Selbstbespiegelung verfangen. Das Grübeln ist fesselnd bei Wolfgang Vogler, die Wut scheint die Figur sich selbst fast nicht abzunehmen. Wie kann ein einzelner aus einem der reichsten Länder beginnen, Armut in der dritten Welt zu bekämpfen? Was würde es helfen, wenn er alle seine materiellen Güter zur Verfügung stellte (wovor sich die Figur fürchtet und was sie nicht tun wird)? Wirkungslos wäre es und ehrlich. Dass Armut und Reichtum irgendwo herkommen, dass vielleicht jeder seines Glückes Schmied ist, aber immer auf Kosten eines anderen, für den man dann doch eigentlich Verantwortung trägt – diesen Konflikt kann Shawn nicht lösen und wir auch nicht. Aber es ist wichtig, sich mit Texten wie seinen zu befassen, damit man das nicht vergisst. Und vielleicht in der einen oder anderen Richtung doch einmal über sich hinausgeht.
Deshalb ist es wirklich anzuerkennen, dass das Schauspiel Frankfurt uns an diesen Text erinnert. Der sich – fast – anhört wie am ersten Tag.
Bis 7. Februar verfügbar auf der Homepage des Schauspiels Frankfurt.