Foto: Szenenfoto aus "Richard III" © Marianne Menke
Text:Jens Fischer, am 4. März 2013
Alles ganz anders – oder wie es war? Jedenfalls hat die Bremer Shakespeare Company (BSC) investieren lassen. Ihr kleines Heimatland sowie eifrige Förderer spendierten mehr als vier Millionen Euro, damit nach 24 Jahren in einer Schulaula und 16-monatiger Bauzeit jetzt das Theater am Leibnizplatz neu eröffnet werden konnte. Eine Bühne mit merklich Höhe und Tiefe, moderner Beleuchter- und Portalbrücke: Beeindruckende Raumwirkungen, Lichtstimmungen und Bühnenbildeffekte sind jetzt möglich. Ein richtiges Theater – ein Gewinn für Bremen! Grundsaniert und vergrößert erstrahlt auch das Foyer, ist gleißend hell erleuchtet für den neuen Durchblick beim Überdenken der Inszenierungen und Programmheftlesen. Hierbei hilft die Regisseurin der Wiedereröffnungsinszenierung: „Das System gebiert die Ungeheuer, die das System generiert“, notiert Ricarda Beilharz zu ihrem „Richard III.“. Das einzige Werk des BSC-Hausautoren, an das sich die Company bisher noch nicht getraut hatte.
Nachdem unter einem Parkplatz im mittelenglischen Leicester kürzlich das Skelett des 1485 ermordeten Richards gefunden wurde, steht fest: Er hatte weder Buckel noch verkrüppelten Arm und war von schmächtig kleiner Gestalt. Vielleicht, so wird jetzt vermutet, sind auch andere Zuschreibungen Shakespeares nur Zitate der Marketingabteilung der Tudors, die mit ihrem Usurpator Henry VII. endgültig Richards Herrscherlinie der Plantagenets vom Thron vertreiben wollte. Beides wird in Bremen bedacht. Richard ist nicht der dämonisierte Dreckskerl in Quasimodo-Gestalt, der sich als Missgeburt für die Missachtung rächt, sondern einer von allen. Aus einem Renaissancefiguren-Gruppenbild schält er sich heraus, körperlich wie sprachlich. Sein stolz behauptetes „Ich“ ist chorisch in aller Munde. Die anderen Figuren sind also ebensolche Höllendhunde wie Richard, sie warten nur auf ihren Auftritt.
Dieser Großschurke der Dramenliteratur ist eine Spitzenrolle für Schauspielerkarrieren, benötigt einen herausragenden Darsteller. Die BSC hat nur einen ordentlichen. Was aber inhaltlich passt. Michael Meyer dimmt den Showmaster heimtückischer Schlachterei im Konversationston herunter. Selbst in Monstermomenten rasender Mordlust ist Richard immer ein Metzger zum Knuddeln. Ein netter Dandy, der nur staunend beiläufig und spiellustig ausnutzt, was sich ihm an Aufstiegschancen bietet. Achselzuckend amüsiert beschränkt er sich auf den schlichten Charme des rhetorisch wendigen Taktikers. Trotzdem verfallen ihm die Frauen, die halt die Erotik der Macht lieben. Und einen modernen Narziss. Der einsam losgelöst von allen Ordnungen nur sich verehrt – und daher die Welt reinigen muss von allem, was nicht er, nicht „Ich“ ist.
Ohne Ströme von Kunstblut und Aktualität behauptenden Videozuspielungen sind die Mechanismen der auf ihren Vorteil bedachten Machtpolitiker und Finanzhaie von heute kenntlich, auch wenn ihre Methoden in den letzten 500 Jahren verfeinert wurden. Die Kostüme verdeutlichen den Rundumschlag vom adrett elisabethanischen bis zum öden Schlips-und-Anzug-Stil. Inszenatorisch präzise gearbeitet und apart im Raum arrangiert wurde das Stück und dabei auf die gefürchtete BSC-Witzigkeit der Wir-sind-Volkstheater-Idee verzichtet – mal abgesehen von der Publikumsanimation mit dem Kanon auf „Der Hahn ist tot“. Besonders eindrucksvoll gelungen, wie Nebelschwaden malerisch über der Szenerie hängen, idyllisch durch sie hindurchgleiten und traumschön verwirbeln. Als wäre es ein Katrin-Brack-Bühnenbild. Also alles prima? Das kleine Ensemble über- und unterspielt mal wieder die große Rollenvielfalt, mangels durchgängig intensiven Spiels schleppt sich der Abend zu häufig nur so dahin. Kein großer Wurf. Aber die BSC behauptet den über Jahre mühsam erkämpften Status: unteres Stadttheaterniveau. Alles wie es war – aber attraktiver im renoviertem Ambiente.