v. l. im Bild: Marco Steeger, Frederik Bott und Frank Damerius

Neuer Messi auf der Ersatzbank

Patrick Marber: Der rote Löwe

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:25.02.2017 (DSE)Regie:Klaus Kusenberg

Die Story ist rund, die Bühne eckig, aber das Spiel bleibt trotz der Verlängerung auf 120 Minuten beim trotzigen Charme eines hochverdienten Unentschieden. Dabei waren die Rahmenbedingungen für einen Siegestreffer zur Deutschland-Premiere von Patrick Marbers Kabinen-Drama „Der rote Löwe“ in Nürnberg bestens, geht es dabei doch auch um jenen grade mal wieder besonders sehnsüchtig beschworenen Traum vom Fußballsport, der im Dribbling zwischen Geschäftsmodell und Ersatz-Gottesdienst den Ball gegen alle Gesetze der Bodenberührung immer unter Kontrolle behält. Wer’s glaubt, bleibt selig! Erlöschende Lichtgestalten, verhaftete Präsidenten und schlägernde Fan-Clubs mögen als verdunkelndes Tagesthema gelegentlich in die Idylle rutschen, aber die Verklärung überblendet wie ein ewiges Licht aus anderen Religionen am Ende jede Krise. Was für ein Theater-Thema, vielleicht eher Oper.

Darf es ein paar Nummern kleiner sein? Sepp Blatter oder Franz Beckenbauer würden diese angerostete Umkleide eines drittklassigen Vereins, wie sie Bühnenbildner Günter Hellweg auf der Breitwand der Kammerspiele für den Zuschauer als mit den Augen riechbares Schweiß-Biotop entwarf, ohnehin nicht betreten. Hier bei den britischen Roten Löwen,  deren Name also keineswegs auf eine Fusion von 1. FC Nürnberg und 1860 München schließen lässt, herrscht latenter Ausnahmezustand, immer mit ausfahrbarer Emotion nahe an triumphalem Sieg und heroischer Enttäuschung. Oder an der Illusion von beidem.

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Die drei Prototypen, die der Autor zusammenspannt, repräsentieren gegensätzliche Gemütslagen. Da ist der hingebungsvoll an die Reinheit des Spiels glaubende Zeugwart, zuständig fürs Ausbügeln von Problemen und Trikots, der einst die eigenen Klein-Karrieren als Kicker und Trainer in den Sand setzte und nun – wenn er nicht grade das Vereinswappen am Hemdchen küsst wie ein Priester das Kreuz seiner Stola – gern den väterlich-selbstlosen Talentförderer gibt. Er ist im Clinch mit dem ganztägig zynischen Trainer, der jeden Preis für Aufstieg und Karriere zahlt. Den eben aus dem Nichts aufgetauchten Nachwuchs-Kicker ernennt er von der Ersatzbank weg zum „neuen Messi“ und leitet umgehend den Menschenhandel ein. Der naive Junge mit desolatem Elternhaus ist aus nicht näher erläuterten Gründen so religiös, dass er sogar „Schwalben“ im Strafraum verweigert, hat aber auch sonst Macken. Leider plagt ihn als Folge häuslicher Gewalt (der Papa war ein Schläger) sein kaputtes Knie und deshalb spritzt er heimlich Fitness-Drogen. Wenn das rauskommt, sind alle Präsidenten dagegen. Ende von drei Karrieren. Vorerst. Der abgestrafte „Papa Bär“-Zeugwart liebt den Verein unverbrüchlich, der entlassene Trainer mit der großen Klappe stellt sich an der unteren Sprosse der Leiter neu auf und der geplagte Junior-Kicker hofft mit blauen Augen nun auf das Wunder der Orthopädie. Wiedersehen in der Kreisklasse nicht auszuschließen.

Patrick Marber, der mit dem später verfilmten Stück „Hautnah“ ab 1999 auch an deutschen Bühnen großen Erfolg hatte und mit Hinweis auf „Schreibblockade“ zwischen 2008 und 2015 große Theaterpause machte, stützte seinen in London wohlwollend aufgenommenen Comeback-Versuch  mit biografischem Hintergrund ab. Er ist nicht nur Fankurven-Mitbewohner eines britischen Regionalliga-Clubs, sondern dort auch einer von vielen ortsansässigen Klein-Teilhabern, die gegen jeden Zugriff von Öl- oder Limonaden-Milliardären als Volks-Eigner ihren Club erhalten.  Man darf also davon ausgehen, dass er weiß, wovon seine Figuren reden. Der Nürnberger Schauspieldirektor Klaus Kusenberg setzt bei seiner deutschen Erstaufführung noch einen drauf: Alt-Trainer Hans Meyer, der in Nürnberg den letzten Pokalsieg des inzwischen nicht mehr so „ruhmreichen Club“ einfädelte, neulich schon Pate für Albert Ostermaiers anderes Fußball-Drama „Linke Läufer“,  bot dem Darsteller-Trio zur sachdienlichen Orientierung ein paar Generalisten-Einblicke jenseits der „Sommermärchen“-Stilisierung. Ob der Sarkasmus, den der Bühnentrainer nun als gepanzerte Haltung ausstrahlt, eine persönliche Empfehlung des Beraters war, gehört zu den interessanteren offenen Fragen am Ende der Aufführung.

Es ist in erster Linie Schauspieler-Futter, was der Autor anbietet und der Regisseur weiterreicht. Die drei Akteure greifen gerne zu. Marco Steeger unterfüttert den Karriere-Coach und seine kleinkriminelle Energie mit einem Touch Mephisto-Dämonie (Teufelspakt mit Handschlag inbegriffen) ohne das übermäßig zu strapazieren. Frank Damerius kuschelt als Zeugwart am Idealismus mit der unterschwelligen Sehnsucht nach Bedeutung. Frederik Botts Nachwuchs-Kicker ist festgeklopft auf brodelnde Naivität, er will Ballspiel und wird Spielball in dieser Konstellation. Die kampflustigen Dialoge, immer durchs Wechselbad von Entlarvung und Verehrung belebt,  umkreisen den Mikrokosmos des Fußball-Universums – ohne dass man letztlich weiß, wie platterdings authentisch das gemeint ist. Soll es Material für eine Hochrechnung kritischer Fans sein oder Anstoß für ein gesellschaftliches Gleichnis? Regisseur Kusenberg, mit handwerklich einwandfreiem Geschick ganz auf die Wirkungssicherheit der Pointen und die schillernde Präsenz der Charaktere bedacht, verweigert die denkbare Ausdehnung von der Kabinen-Affäre zur Existenz-Parabel. Wahrscheinlich rettet er damit sogar den Marber-Text vor dem eigenen Schwadronierungsinfarkt. „Immer locker bleiben“, lautet eine der mehrfach bemühten Floskel-Faustregeln aus der Kabine. Daran hat sich die Nürnberger Inszenierung gehalten.