Foto: Egersdörfer in "Tannhäuser" in Nürnberg © Stephan Minx
Text:Dieter Stoll, am 4. Juli 2013
Auf seine schlechte Laune kann man sich verlassen: Matthias Egersdörfer, dem die Publikumsbeschimpfung ihre zweite Bühnenkarriere zu verdanken hat, ist als pöbelnder Satiriker eine Art verschärfter Kurt Krömer, pflegt das belebende Missverständnis auch im Umgang mit den eigenen Fans als bevorzugte Technik und ist samt seiner nur scheinbar naturbelassenen Unverschämtheit jetzt sogar als Kandidat für die ZDF-Marke „Neues aus der Anstalt“ im Gespräch. Dabei hat der fränkische Wort-Wrestler, bei dessen donnernden Brachial-Attacken zarte Gemüter immer noch gegen Flucht-Reflexe kämpfen müssen, auch eine lichte Seite. „Egers“, wie er unter Masochisten liebevoll genannt wird, ist der Oper verfallen. Im zweiten Anlauf, denn der Meisterschüler der Nürnberger Kunstakademie mit nachgeschobener Kabarett-Karriere war nach der „Schulplatzmiete“ zunächst mal auf Distanz zu dieser Hochkultur gegangen, fand erst vor ein paar Jahren als Spätzünder zurück zu den groß auftrumpfenden Gefühlen. Seither lassen ihn Verdi und Wagner nicht mehr los. Und nun dieses!
Beim Nürnberger „Circus Wagner“, wo vom städtischen Kulturreferat in einem Zelt im Stadtpark die „Grenzüberschreitung“ programmatisch klug gegen Jubiläums-Pathos in Stellung gebracht wird (mit Wagner-Jugendwerk, Wagner-Jazzprojekt, dem faszinierenden Erfurter Puppen-„Ring“ und natürlich Mnozil Brass mit „Hojotoho“), entstand sehr frei nach Nestroys einst so erfolgreicher und heute kaum noch vermittelbarer Sängerkriegs-Parodie das Projekt „Egersdörfer in Tannhäuser“. Da kommt der Grantler als naiver Opernführer und will „mein Wissen gern teilen“. Also ran ans Werk, dessen Klang von vier Musikern des ensemble KONTRASTE (Violine und Gitarre konkurrieren mit Trompete und Harmonium) in Manfred Knaaks maßgeschneidertem Arrangement übernommen wird. Auf einer Videowand illustrieren nicht nur Pornos und Festspielhäuser, auch Claudia Roth hat ihren Auftritt als Frau Venus.
Egersdörfer ist nicht der Schmäh-Spötter Nestroy (mit ihm und seinem Musik-Partner Karl Binder hat das Projekt im Ergebnis kaum noch zu tun) und schon gar nicht auf den Ironie-Spuren von Wagnerianer Loriot – er nimmt sich einfach Text und Musik mit festem Griff zur Brust. Er fragt sich, wieso Tannhäuser den kuscheligen Venusberg überhaupt verlässt, beschimpft die pilgernde „Selbsthilfegruppe für ungute Gefühle“ ähnlich wie die heuchlerische Bande der Hofgesellschaft und ist alsbald der jungfräulichen „Eli“ alias Elisabeth verfallen. Des Sünders vergeblichen Bußgang nach Rom schildert er als Ankündigung für „rückwirkendes Erschlagen“ und wenn von Wolfram der „holde Abendstern“ als letztes Mittel beschworen wird, fährt die Kamera über einen Warenproben-Tisch voller Pharmazie- Wohltaten.
Der Clou der Aufführung steckt freilich im einigermaßen wilden, äußerst mutigen Entschluss Egersdörfers, sich selber per Willensakt als Wagner-Sänger einzusetzen. Mit räusperndem Grummel-Bariton für Herren- und Quetsch-Falsett für Damen-Partien, aber ganz entschieden im vokalen Amateur-Status, wie er überwiegend unter der Dusche gepflegt wird. Der Kabarettist kann gar nicht singen, wirft seine Stimme immerhin in die richtige Richtung und kostet das Desaster grimmig aus. Wenn er „Die Nachtigall hör ich nicht mehr“ grölt, weiß man endlich ganz genau, was den Vogel in die Flucht trieb. Egersdörfer als Wiedergeburt von Florence Foster Jenkins – das ist saukomisch, auch wenn sich „der gewisse Aggressionszustand“ dieses besonderen Wagner-Gesangs innerhalb von zwei Stunden etwas abnutzt. Andererseits aber in berührenden Momenten aufleuchtet, wo dem Gebet von Elisabeth ein geradezu inniges Flüstern gegönnt wird.
„Besser geht`s ned“, sagt Egersdörfer dann irgendwann über Wagners Emotionsschub. Dann merkt man als Zuschauer, dass er dem 200-Jährigen offenbar vorerst verfallen ist, denn der kritische Jux zielt nur auf die Handlung. Die Musik, mit deren Bearbeitung Manfred Knaak auf Biermösl Blosn und Frank Zappa verweisen wollte, bleibt ganz und gar Hommage ans Original. Nur einmal, wenn die Sängerkriegs-Beschreibung zwangsläufig in den deutschen Schlager abdriftet, hört man imaginäre Festspielhaus-Türen zuklappen. Da stimmt der Gitarrist in Sichtweite zur historischen Wartburg das wahre deutsche Herzenslied „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ an und Egersdörfer detoniert entlang am „Nananana-nana“ in einem Wutanfall über den Schwachsinn als solchen. An diesem durchaus herausfordernden Premierenabend war es die mehrheitsfähigste Passage.