Foto: Szene mt Katharina Peetz (Lukrezia), Christiane Kohl (Beatrice) und Ileana Mateescu (Bernardo). © Thomas M. Jauk
Text:Christoph Zimmermann, am 29. Mai 2012
Der künstlerische Lebensweg des Komponisten Berthold Goldschmidt ist letztlich als ein tragischer zu bezeichnen, enthält allerdings einige bizarr-kuriose Züge. 1903 in Hamburg geboren, galt Goldschmidt zunächst als „eine der großen Hoffnungen der deutschen Musik vor 1933“, wobei diese Formulierung von Hans Ferdinand Redlich auch verrät, worin das Schicksalhafte dieser Karriere lag. Als Jude musste Berthold Goldschmidt Deutschland verlassen (1935) und sich in England ein gänzlich neues Tätigkeitsfeld aufbauen. Als Komponist (u.a. der 1932 in Mannheim erfolgreich herausgekommenen Oper „Der gewaltige Hahnrei“) vermochte er nicht mehr Fuß zu fassen. So zog er sich auf seine Arbeit bei der BBC zurück, wirkte verstärkt als Dirigent. 1994 zeichneten sich neue Chancen ab, als der „Hahnrei“ an der Komischen Oper Berlin inszeniert wurde. Auch „Beatrice Cenci“, von Goldschmidt 1949, angespornt durch einen Opernwettbewerb, zu Papier gebracht, fand in Magdeburg endlich den Weg auf die Bühne. Für beide Werke machte sich auch der Dirigent Lothar Zagrosek stark (Konzert, CD-Aufnahme).
Dortmund wagte für „Beatrice Cenci“ mutig einen neuen Anlauf. Der (für die erkrankte Regula Gerber) einspringende Regisseur Johannes Schmid bezeichnet „Beatrice Cenci“ als „düsteren Krimi“. In der Tat hat man es mit einer Schauergeschichte aus der Renaissance zu tun. Die Titelheldin wird im Alter von nur 22 Jahren (zusammen mit ihrer Stiefmutter Lucrezia) hingerichtet, schuldig befunden an der Tötung ihres Vaters, dem Grafen Francesco Cenci, einem sich als sein eigener Gott brüstender Despot, welcher seiner Tochter auch sexuell Gewalt antut. Die wesentlichen Fakten behält das Opernlibretto Martin Esslins (nach einem Drama Percy Shelleys) bei, bemüht sich aber um eine Differenzierung der Schuldfrage. Beatrice wird zu einer nachgerade emanzipatorischen Verteidigerin einer Tat, welche die Kirche jedoch, so buchstabenstreng wie andererseits korrupt, unnachgiebig verdammt.
In diesen ethischen Konflikt schaltet sich auch die Musik Berthold Goldschmidts ein, welcher man über weite Strecken anmerkt, dass ihr Komponist einmal zu den Neutönern gerechnet wurde. Aber die Tonsprache verzichtet nicht auf tonale Beimischungen, bekennt sich zum Melodischen, ein Kontrast, der gerade bei einem Bühnenwerk wirkungsvoll auszureizen ist. Das Klanggeschehen im Gefängnisbild ist eine hymnische Verteidigungsrede für Beatrice, ein Plädoyer für Humanität. Der Hinrichtung folgt ein Chor-Requiem, die Oper endet mit einem dreiklängigen Dur-Akkord.
Jac Van Steen beglaubigt die Musik mit theatralischem Gespür, lässt sie mit interpretatorischem Bekennermut aufblühen. Mit lyrisch klarem, aber nicht zu weichem und enorm höhensicherem Sopran formt Christiane Kohl ein beeindruckendes Beatrice-Porträt. Der schöne, elegante Mezzo von Katharina Peetz macht Lucrezia zu einer gleichwertigen Figur. Ohnehin wird im Grunde erst mit dem 3. Akt gänzlich legitim, dass die Oper nicht – wie etwa bei Havergal Brian oder Giorgio Battistelli – mit „The Cenci“ übertitelt ist. Andreas Macco gibt bassausladend den giovannesken Fiesling Francesco, als Beatrices adoleszenter Bruder Bernardo ersingt und erspielt sich Ileana Mateescu alle Sympathien. Zufriedenstellend die Besetzung der anderen Partien.
Die Inszenierung vermittelt den brisanten, leicht ins Heute fortzudenkenden Stoff ohne viel eigenes Hinzutun. Man kann die von einem stelenartigen Säulenarrangement massiv überhängte schwarze Szene Roland Aeschlimanns als durchaus sinnfällig empfinden. Doch auch dieser Kulisse, in welcher die (endlich mal wieder) historisch gewagten Kostüme Andrea Schmidt-Futterers wirkungsvolle Akzente setzen, fehlen individuelle, wirklich sinnverstärkende Fingerzeige. Die Personenführung belässt es meist bei archaischen Gruppierungen, Soloszenen frieren oft zu einem Rampensingen ein. Aus diesem Werk wäre optisch mehr herauszuholen – hoffentlich geschieht dies schon bald einmal anderswo.