Das NEST: Neue Staatsoper im Künstlerhaus
Die Wiener Staatsoper hat sich an prominenter Stelle am Karlsplatz im Künstlerhaus, genau gegenüber vom ehrwürdigen Musikverein eine neue Spielstätte gegönnt, die „Neue Staatsoper im Künstlerhaus“, kurz NEST genannt. Das Haus zielt auf ein im weitesten Sinne jüngeres Publikum, der steil ansteigende Saal bietet 248 Sitzplätze und bis in die letzten Reihen gute Sicht. Alle Sitze sind ausbaubar, um immersive Inszenierungsvarianten zu ermöglichen, es gibt auch einen recht geräumigen Orchestergraben.
Über dem Hauptsaal befindet sich ein Workshopraum, das NEST ist keine reine Kinder-Oper, sondern will auch experimentellen Formaten Raum geben. So ist ab dem 13. Dezember die Kult-Theatergruppe Nesterval gebucht, die mit 16 Schauspielerinnen und Schauspielern das gesamte Haus mit Wagners „Götterdämmerung“ immersiv bespielen will, hier gilt die Altersempfehlung erst ab 16 Jahren.
Zur Eröffnung am Samstag gab’s eine Kinderoper, oder besser gesagt das, was die Macher für eine Kinderoper halten. Was der kindlich klingen wollende, aber seltsam umständliche Titel „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ eigentlich bereits androht. Sicher war es gut gemeint und grundsätzlich auch goldrichtig, mit der Uraufführung nicht auf politisch korrekte Unterforderung und niedrigschwelliges „Abholen“ der Kleinen (Altersempfehlung ab sechs Jahren) zu setzen. Schließlich sind wir ja in einem Ableger der Wiener Staatsoper und nicht im Off-Raum eines sozialen Brennpunkts. Aber Thierry Tidrows „Kinderoper für drei Sänger*innen und kleines Orchester“ will zu viel und versteigt sich unfreiwillig in jene schwer zugänglichen Opern-Gefilde, die nun nicht so ohne weiteres zugänglich sind.
ICH und DU als Figuren
Es fängt schon an mit der Besetzung: Die beiden Hauptrollen heißen ICH und DU und sind mit Hannah-Theres Weigl (Sopran) und Florentina Serles (Mezzo, beide aus dem Opernstudio der Wiener Staatsoper) mit hohen Stimmen besetzt, für die Tidrows Partitur vorwiegend exponierte Lagen vorsieht. Der Textverständlichkeit sind so natürliche Grenzen gesetzt, will sagen, der kindgerecht gedachte Text blieb selbst für geübte Operngänger:innen über weite Strecken unverständlich.
Auch die Inhaltsangabe liest sich eher wie ein Text für den Grundkurs Philosophie und Ethik: Es geht um die zwei Wesen ICH und DU, die sich erstmal in umständlichen Sprachspielen voneinander abgrenzen und die eigene Identität finden. Dann folgt eine Sintflut und es landet statt der Arche Noah ein Raumschiff. Naja, so steht es im Inhalt, Nanna Neudecks Bühne zeigt eher das Deck eines normalen Schiffs, auf dem eine Band sitzt, deren Personal weiße Watteperücken trägt und von einem gewissen NOE (Alex Ilvakhin, Bariton, ebenfalls Opernstudio der Staatsoper) dirigiert wird. Er ist auch der Kapitän, der nun die Sintflut verkündet. DU und ICH können aber nicht schwimmen. Schließlich bringt das Duo aus ICH und DU den knarzigen NOE mit einem Witz zum Lachen und damit dazu, die Band zusammenrücken zu lassen. Aber nur DU wird zunächst aufgenommen. Am Ende geht es natürlich gut aus.
„Plitsch! Platsch!“
Der „Witz“ geht übrigens so: „Sagt der Walfisch zum Thunfisch: Was soll ich tun? Fisch? Sagt der Thunfisch zum Walfisch: Du hast die Wahl! Fisch!“ Als Ausgleich gibt es dann ganze Passagen, in denen nur „Bumm! Bumm!“ oder „Plitsch! Platsch!“ gesungen und gesprochen wird.
Das Samstags-Kinderpublikum ist natürlich nicht in Klassenverbänden erschienen, sondern brav mit Papa und Mama, so halten sich Unmuts- und Langeweile-Bekundungen in Grenzen. Regisseurin Sara Ostertag tut, was sie kann, um das ziemlich abstrakte Geschehen etwas zu erden. Die beiden Sängerinnen arbeiten sich anfangs heraus aus wulstigen Teletubby-Kostümen und wurschteln unablässig mit Styropor-Fels-Elementen herum, bauen Treppen und Türme. Optisch interessant wird es ohnehin erst, als das Raumschiff auftaucht, und die Bühne in ganzer Größe bespielt wird, am Anfang knubbeln sich ICH und DU auf einem schmalen Vorderstreifen. Schließlich spuckt dann eine Kanone vom Bühnenhimmel noch einen riesigen Schaumberg aus, in dem es sich trefflich waten und rudern lässt.
Thierry Tidrow hat eine gemäßigt neutönende Musik komponiert, die nicht weiter stört, manchen lautmalerischen Effekt bietet, aber nicht im Gehör hängen bleibt. Sehr freundlicher Beifall feiert vor allem und zu Recht den Umstand, so eine prachtvolle neue Spielstätte zu haben.