Foto: Das Ensemble © Hamburger Kammerspiele
Text:Sören Ingwersen, am 30. Januar 2017
Heißt es eigentlich Büffelhorde oder Büffelherde? Auch auf verbalen Nebenschauplätzen verteidigt man seine Position erbittert im Kreis der vier Personen, die in einer Luxusvilla in den Hügeln Hollywoods zusammengefunden haben, um offenbar etwas Wichtiges zu besprechen. Was, erfährt der Zuschauer erst spät in der deutschsprachigen Erstaufführung von Neil LaButes Komödie „Ganzkörpereinsatz“ an den Hamburger Kammerspielen.
Auf dem sandigen Bühnenboden fristen Skulpturen der Marke „aus Schrott mach Kunst“ ihr tristes Dasein – Ausstatterin Maren Christensens Sinnbild für die Beziehungswüste, in der die beiden Paare sich befinden: die auf ihren Stöckelschuhen oft vergeblich um Haltung und Halt bemühte Hausherrin Karen; ihre intellektuelle und kampfsporterprobte Lebenspartnerin Bev; Macho Steve, der mit unbekümmerter Eitelkeit frauenfeindliche Floskeln produziert; und sein blondes Anhängsel Missy, der es mit naiver Treffsicherheit gelingt, immer im richtigen Moment das Falsche zu sagen.
Eine Figurenkonstellation, deren satirisches Potenzial auch eine Yasmina Reza für ihre Zimmerschlachten zu nutzen wusste. Und wie bei Reza werden auch hier zwischendurch Häppchen zur Stärkung verteilt – bis Steve und Karen die Katze aus dem Sack lassen: Der Regisseur, der mit ihnen derzeit einen Film dreht, möchte, das die beiden realen Sex vor der Kamera haben. Karen, die seit ihrem Coming-out als Lesbe kaum noch Rollen angeboten bekommt, und Steve, der mit seinem fortgeschrittenen Alter hadert, erhoffen sich durch den freizügigen Auftritt einen Karriereschub und wollen von ihren Lebenspartnern eine Einverständniserklärung für den berufsbedingten Seitensprung.
Während Bev blockiert, sieht Missy die Sache locker. Eine gemeinsam erstellte Liste soll entscheiden, was erlaubt ist und was nicht: Anal oder oral? Lecken oder stecken? Schlucken oder spucken? Auf jeden Fall keine Tiere. Im Theatersaal wird es unruhig. Die unverblümte Erörterung von Sexualpraktiken überschreitet die Grenze des guten Geschmacks, ist aber – mit Wortführerin Missy, die sich hier als echter Profi outet – ziemlich komisch, was auch für Kai Wessels Inszenierung im Ganzen gilt.
Mit differenziert gezeichneten Figuren führt uns der Regisseur in eine Gesellschaft ein, die sich den rohen Zwängen und Marktmechanismen der US-amerikanischen Filmindustrie bis zur Selbstaufgabe unterwirft. Dabei steht ihm ein hervorragendes Darstellerquartett zur Seite, das den bitterbösen Witz der Textvorlage lustvoll auskostet: Patrick Heyn spielt seinen Steve mit einer wunderbar abstoßenden Mischung aus Selbstgefälligkeit und Hysterie. Stella Roberts beweist viel Geschick darin, ihr blondes B-Movie-Sternchen Missy nicht zur bloßen Karikatur verkommen zu lassen. Während sie nicht nur in ihrem staubaufwirbelnden Zombie-Tanz herrlich taktlos agiert, gibt ihr eine unerwartete Wendung am Schluss die Würde zurück. Julia Koschitz lässt ihre Karen derweil bei dem Versuch, jegliche Eskalation zu vermeiden, so hilflos in der Landschaft herumstehen, dass man ihr am liebsten stützend die Hand reichen möchte. Dass ihre taffe Bev – Joanna Kitzl fühlt sich sichtlich wohl in ihrer burschikosen Rolle – letztendlich Ekel Steven zum körperlichen Zweikampf herausfordert, kann aber auch Karen nicht mehr verhindern. Wo Worte nichts mehr ausrichten, sprechen Fäuste. Für den Fall ihres Sieges fordert Bev indes einen Lohn, mit dem niemand gerechnet hat … Ob Regisseur Wessel und sein hochmotiviertes Ensemble wohl mit so begeistertem Premierenapplaus gerechnet haben? Verdient war er auf jeden Fall.