Foto: "Die Neigung des Peter Rosegger" in Graz © Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz
Text:Hermann Götz, am 15. September 2016
Weltberühmt in der Steiermark. Das ist der Dichter Peter Rosegger (1843-1918) zweifellos, jeder der an diesem Premierenabend im Publikum sitzt, hat ihn schon als Volksschüler gelesen, zumindest im Schullesebuch. Tatsächlich war er zu Lebzeiten vor allem eines – äußerst erfolgreich: 15 Millionen verkaufte Bücher, in 20 Sprachen übersetzt, mehrmals für den Literaturnobelpreis nominiert. Noch heute wittern Steirer eine Verschwörung, weil er ihn nie erhalten hat. Auf einem Bergbauernhof in Alpl geboren, kam der literarische Autodidakt in die Stadt Graz, wo er zu Humanismus, Hexameter und Bildungsbürgertum fand, um schließlich in eben diesen Kreisen zu einer Integrationsfigur für die Verquickung von Heimatliebe und antimodernem Deutschnationalismus zu werden. Antisemitismus inklusive. Davon erzählen die Lesebücher nichts, doch der nostalgisch verklärte Heimatbegriff aus den Waldbauernbubengeschichten lebt weiter.
Auf dieser Folie breitet Arzt sein Drama aus. Es kreist um ein Rosegger-Denkmal, das in Schieflage gerät, weil sich die geliebte Heimaterde irgendetwas mit Tektonik oder Seismologie zugezogen hat. Ein Beben eben. Die eurasischen Platten schieben gegeneinander, gerade hier und jetzt, wo man den Patriotismus um eine europäische Idee ausweiten und UNESCO Weltkulturerbe werden will.
Arzt baut mit scharf beschnittenen Sätzen seiner Kunst-Umgangssprache eine Dorfgeschichte zusammen, die bekannten Gesetzen gehorcht: Ein Störenfried – der „von oben“ gesandte Seismologe (lakonisch gegrummelt von Franz Xaver Zach) – personifiziert die Erschütterung der natürlichen Ordnung, welche die kleine Landwelt schnell aus den Fugen hebt. Der Dorfkaiser und Rosegger-Fan Wiesinger (souverän gezeichnet von Florian Köhler) verliert ob der ungehörigen Störung seiner Minimundus-Oligarchie den Verstand. Dazwischen stehen die Bürgermeisterin (Evamaria Salcher), ein versoffener Arbeiter (Nico Link als prolliger Dorfnarr), eine xenophobe Angestellte mit 1.000 Facebookfreunden (Susanne Konstanze Weber) und die Archivarin Trost (Henriette Blumenau), die mit ihrer schöngeistig-geisteswissenschaftlichen Annäherung an Rosegger vor allem, nun ja, alleine dasteht. Dies auch, weil‘s mit den amourösen Annäherungen in diesem Arzt-Stück nicht klappen will. All das wird von Regisseurin Nina Gühlstorff – erraten – mit viel Humor serviert, begleitet von Livemusik und Gesang.
So fein die Ausgangsidee erscheint, Roseggers Erbe gut zugespitzt in den Heimatboden der Gegenwart zu treiben, so holzschnittartig wird sie hier zu Ende gedacht – durchwachsen von allzu zahlreich bemühten Gegenwartsbezügen und Klischees. Letztere werden zwar durchaus durch jüngste Wahlergebnisse gestützt, die auf große Empfänglichkeit der österreichischen Landbevölkerung für rechtspopulistische Politik hindeuten. Aber anders als die Politik muss Theater ja nicht unbedingt auf Statistik reagieren – und wenn, dann bitte nicht mit Vereinfachung.