Zwischen all den Bewegungstableaus, in denen zuweilen auch Break Dance-Elemente einfließen, stürzt sich Luca Ghedini in einen Endlos-Rausch der ekstatischen Bewegung, während sich Shafiki Sseggayi in einer immer gleichbleibenden Bewegungsschleife nach vorne schraubt. Fremdartige, großartige Posen sind das. Irgendwann verfallen die Tänzerinnen und Tänzer, einige von ihnen haben sich ihre dunklen Hemden ausgezogen, in einen philosophischen Diskurs auf der Bühne. Männer und Frauen auf der Suche nach der Weltformel, nach dem Sinn. Jede und jeder der neun Tänzerinnen und Tänzer steht dann für eine Haltung, einen Zustand, wie man im Programmheft lesen kann: Da diskutieren und widersprechen sich die „unverrückbare Wahrheit“ mit der „unterschätzten Hoffnung“. Das könnte spannend sein, wenn man es nur verstehen könnte! Wenn zum Schluss die wunderbare Cree Barnett Williams als „stille Siegerin“ meint, man müsste nur loslassen, sich trennen, und wenn dann der Bühnenvorhang herunter rauscht und sie getrennt von den anderen ist, soll dies wohl eine humoristische Volte auf die großen Fragen des Lebens sein. Denn wie gesagt: Antworten gibt es nicht.
Stark erzählerisch kommt dann der opulente Tanztheater-Bilderbogen von Annamari Keskinen und Ryan Mason daher, die mit ihrem „EI“ ihre erste gemeinsame Choreografie vorstellen. Obwohl beide Tänzer in der Wieland-Company waren, unterscheiden sie sich stark von seiner Handschrift. Schon die ersten Sequenzen verblüffen mit ihren surrealen Komponenten, mit ihren ungewöhnlichen Bilddetails: In einem Innenraum, einem „inbetween“, sitzt einsam ein alter Mann in der Mitte. Am Himmel scheint sich ein Sputnik (Bühne: Matthieu Götz) mit Auge, Überwachung, Observation zu drehen. In den seitlichen Bühnenumgängen wandeln prächtig gekleidete Männer, hier wartete ein anderes Reich, ein ferner Ort. Die Tänzergruppe in der bunten Alltagskleidung (Kostüme: Evelyn Schönwald) durchkreuzt wie im Wettrennen den Raum, die Bewegungen zerhackt im Stroboskop-Licht: Es ist kein Vorwärtskommen, ein immer nur Vorwärtsstreben, aber Nicht-Ankommen. Die neue Dramaturgin der Company, Lauren Mace, sagt dazu: „Das ist ein Immer-wieder-Beginnen und Niemals-Enden.“
Auch in dieser Choreografie zur aufregend gemixten Soundcollage von Ryan Mason changieren die Bilder, eine irrlichternde Reise durch emotionale Zustände und surreale Landschaften. Nebelschwaden wabern durch den Raum, in dem zwei Tänzer zur vokalen Barockmusik zeitlupengleich ein Tennismatch im Weltall kämpfen, und Morgan Bobrow-Williams traumähnlich ein Solo der zerbrochenen Bewegungen tanzt. In dieser Welt kommt sich niemand mehr näher. Jeder bleibt allein. Zum Schluss geht der alte Mann auf seine letzte Reise. Der Stuhl, auf dem er saß, verbrennt langsam, vielleicht stirbt die alte Welt. Die prächtig gekleideten Menschen in ihren Kostümen aus unterschiedlich ethnischen Versatzstücken versammeln sich auf der Bühne. Ein farbenfrohes Ende. Könnte das ein Bild der Hoffnung sein? Es folgt stürmischer Applaus.