Foto: Szene aus "Creation - Pictures for Dorian" © David Baltzer / Bildbuehne.de
Text:Alexander Jürgs, am 30. August 2018
Gob Squad zeigen „Creation – Pictures for Dorian“. bei der Wiesbadener Biennale
Man kennt das aus diesen Fernsehshows: den Catwalk, das Defilieren, den Hüftschwung, die Aufforderungen. Gib dich so, gib dich anders, mach dies, mach das. In schwarze Guerilla-Outfits gehüllt sind es die Performer des britisch-deutschen Performance-Kollektivs Gob Squad (in diesem Fall Berit Stumpf, Johanna Freiburg und Sean Patten), die die Anweisungen erteilen: Lauf und zeig keine Emotionalität. Zeig in deinem Gesicht Liebe ohne Sex. Ich will Natürlichkeit von dir sehen. Seltsame Casting-Show-Sprüche, die mal mit einem Augenzwinkern, mal widerwillig, aber immer doch befolgt werden. Monotone Minimal Music erklingt dazu, große Spiegel, Bilderrahmen und Ikebana-Blumengestecke stehen auf der Bühne. Und die Darsteller – David, Anoushe und Cherry – laufen, einmal hin, einmal zurück.
Es wird Theater gespielt – und das hat auf dieser, der zweiten Ausgabe der „Wiesbaden Biennale“ sogar ein bisschen Seltenheitswert. Begonnen hat das Festival mit einer brachialen Inszenierung, wie es mit der Kulturinstitution Stadttheater enden könnte: In das pompöse Foyer des Staatstheaters ist ein Supermarkt eingezogen. Waschmittel, Energy-Drinks, belegte Brötchen gibt es jetzt dort, der Andrang ist absurd groß. An der Rückwand des Hauses wurde eine Rampe aus Holz aufgebaut. Schmucke Oldtimer gelangten darüber ins Innere, auf die Bühne. Diese „Nachnutzung des Theaters“ als Autokino oder Parkplatz erscheint wie eine gruselige Anti-Utopie. In Detroit ist sie schon länger Wirklichkeit: Dort gibt es tatsächlich ein altes Schauspielhaus mit viel morbider Renaissance-Grandezza, das Michigan Theatre, das heute als Parkhaus gebraucht wird. „Bad News“ lautet das Motto der diesjährigen Wiesbaden Biennale.
Überhaupt setzen die Festival-Macher auf größtmögliche Provokation. Eine vier Meter große, vergoldete Statue des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben sie auf einem Platz im Wiesbadener Westend aufstellen lassen – und damit einen wütenden Schlagabtausch zwischen Anhängern und Feinden des Autokraten hervorgerufen. Weil es bald auch zu Handgreiflichkeiten kam, weil die Situation zu kippen drohte, rückten schließlich Feuerwehrleute an und entfernten die Skulptur. Selbst der „New York Times“ war das eine Meldung wert. Der übergroße Gold-Despot, der den Zeigefinger in die Luft reckt, dürfte noch lange im Gedächtnis bleiben – als plumpe Pose.
Wie humorvoll, schräg und vieldeutig erscheinen dagegen die Posen, die beim Gob-Squad-Abend auf der Bühne im Malsaal zu sehen sind. „Creation (Pictures for Dorian)“ heißt das Stück. Am Berliner Hebbel am Ufer ist es entstanden, von der Wiesbaden Biennale wurde es koproduziert. Wie „Tableau Vivants“ formen die Performer darin ihre Darsteller, ihr, wie sie es nennen, „Material“. Neben den drei jungen Darstellern sind das noch drei ältere: der Schauspieler Dieter Schaad, die Tänzerin Hiltrut Hauschke und der Travestie-Künstler Ronny Rolls, der sich selbst „den ältesten Damen-Darsteller der Welt“ nennt. Die Gob-Squad-Performer befinden sich vom Alter her genau dazwischen, „Durchschnittsalter 47“. Sie geben sich, so erzählt es Sean Patten, der Illusion hin, dass sie noch genauso frisch wie die Jungen aussehen, andererseits aber auch schon so weise sind wie die Älteren. Natürlich stimmt weder das eine noch das andere. Wie das Altern einen Bühnenmenschen prägt, darum dreht sich die Inszenierung.
Oscar Wilde hat die Figur des Dorian Gray erschaffen. Der erhält sich seine Jugend, indem er ersatzweise ein Porträt von sich altern lässt. Die Geschichte ist ein loser, roter Faden der Inszenierung, Wildes Sinnspruch, dass Natürlichkeit eine Pose (und zwar die ärgerlichste von allen) ist, bildet eine Art Leitmotiv. Die Darsteller werden über die Bühne bugsiert, dirigiert, neu aufgestellt. Anoushe bekommt einen Rosenkranz ins Haar, sie soll lächeln, wird dabei in Nahaufnahme gefilmt. Aus den Videoaufnahmen entsteht ein Gif, das nun für Ewigkeiten ins Netz hochgeladen werden könnte – doch die Darstellerin zögert. „Was ist besser? Von allen gesehen werden oder von niemanden?“, wird sie gefragt. Es klingt nach Vorwurf.
Die Szenen reihen sich aneinander oder laufen parallel, die Darsteller erzählen aus ihrem Leben, von Träumen, von Erwartungen, sie taxieren den eigenen Körper. Mal ist es komisch, mal rührend, mal geht es in Richtung Slapstick. Der Blick, den Gob Squad mit ihrem Stück auf den alternden Körper werfen, auf unseren Umgang damit, ist vielschichtig, selbstkritisch, politisch. Am Ende, nach etwas mehr als eineinhalb Stunden, werfen sie Plastikfolien über ihre Darsteller, die Szene erscheint wie ein eingefrorenes Bild. Man hätte ihnen gerne auch noch länger zugesehen.