Eine Form für den Textmeilenstein
Zugegeben, solch einen überdies noch mit einer ästhetisch sprunghaften Montagetechnik versehenen Textmeilenstein auf die Bühne zu bringen, stellt kein einfaches Unterfangen dar. Dennoch hat Milica Čortanovački in seinem Regiedebüt am Nationaltheater Mannheim eine passende Form gefunden. Im Zentrum steht ein Aquarium (Bühne: Keiko Nakama), das sich im Laufe des Abends als virtuoses Hauptbild erweist. Da es dem Text letztlich um die Dekonstruktion von Gender-Klischees, mithin die feministisch flankierte Befreiung von Liebe und Sexualität geht, dient die gläserne Konstruktion zur Veranschaulichung all unserer künstlichen Normen. Ob im Reifrock oder im Korsett – stets erneut muss sich Orlando, souverän verkörpert von Antoinette Ullrich, die modischen Fesseln anlegen. Sie gleicht damit einem Fisch im artifiziellen Milieu unserer Wohnungen.
Doch damit nicht genug. Denn das transparente Sexagon, in dessen Mitte sich ein Schreibtisch befindet, repräsentiert auch noch genau das Gegenteil eines Gefängnisses. „Der Ozean ist voller Hermaphrodite“, hören wir an einer Stelle aus dem Off. Und wer würde diese Zwitterhaftigkeit besser verkörpern als… richtig, der Clown-Fisch! Er vermag binnen kurzer Zeit vom männlichen zum weiblichen Wesen zu wechseln und umgekehrt. Ihn als Luftballon träumerisch zwischen Seifenblasen über die Bühne schweben zu lassen, ist daher durchaus findig.
Mehr Erzählung, weniger Spiel
Also alles großartig? Was die Einfälle der Regie anbetrifft zweifelsohne! Und dennoch fehlt dem Abend ein wenig die Dynamik, was insbesondere mit der Art der Textpräsentation zusammenhängt. Statt mehr und auch weniger überstilisiert miteinander zu spielen, erzählen die beiden Protagonisten (Virginia Woolf und Nebenfiguren: David Smith) die Geschehnisse nach, darunter ein Date auf einer Eisbahn, ein Aufenthalt in Konstantinopel oder eine Hochzeit. Die dazugehörigen Outfits entnimmt Orlando direkt Fäden von der Decke, an denen im Übrigen auch Wimpel mit dem jeweiligen Jahr, in dem wir uns befinden, angebracht sind. Kurzum: Verdichtung des Stücks auf wenige und dafür auratische Szenen und etwas mehr Interaktion hätten die Premiere bestimmt noch nobilitiert.
Aber geschenkt! Am Ende bleibt der stimmige Eindruck, in eine Rêverie eingetaucht zu sein. Dazu tragen insbesondere das feine Lichtdesign und die sphärische Musik von Sherwin Douki bei. Alles wirkt dabei auch ein wenig wie „Work in Progress“, mit spielerischer Freude und Leichtigkeit. Dies trägt wiederum dem Stück Rechnung. Denn Orlando ist, wie es am Schluss heißt, „noch kein fertiger Mensch“, er ist „noch immer im Werden“.