Die Stückhistorie
Die „Farce“ mit dem motivlosen Herrn Kalldewey im Gepäck hat Botho Strauß vor ziemlich genau vierzig Jahren uraufführen können; in Hamburg. Das Stück erhält prompt den Drama-Preis in Mülheim; das materialsatte Programmheft jetzt zur Wiederbegegnung am Staatstheater in Wiesbaden (wo es 1983 auch gleich eine Nach-Inszenierung gab) verweist aber vor allem auf die Zweit-Inszenierung, die Luc Bondy sofort nach der Uraufführung für die Berliner Schaubühne erarbeitete und die zum spektakulären Erfolg wurde. Der Autor Strauß, zuvor schon Dramaturg an diesem damals sehr bedeutenden Theater und in wichtigen Arbeiten mit Peter Stein, war nun endgültig durchgesetzt, nach ersten Erfolgen mit „Die Hypochonder“, der „Trilogie des Wiedersehens“ sowie „Groß und klein“. Ein gutes Jahrzehnt lang war Strauß nun allseits präsent in den Spielplänen, bis … ja bis er sich bald nach der Wende mit eher essayistischen Texten wie „Anschwellender Bocksgesang“ zu Wort meldete, in denen er deutlich Position bezog gegen die Gemütlichkeiten der liberalen, ja libertären Moderne und zugleich neue Radikalismen und Fundamentalismen heraufziehen sah. Prompt galt Strauß als eine Art wohlwollender Beschwörer jener neu-rechten Tendenzen, die er doch eigentlich vor allem beschrieben und analysiert hatte; das Interesse auch am Dramatiker Strauß jedenfalls schmolz.
Überraschend frisch
Auch darum wirkt „Kalldewey, Farce“ jetzt in Wiesbaden (und in Bernd Mottls Inszenierung) überraschend frisch: Weil diese Sprache, zur Zeit der Uraufführung verstörend frech und „hip“, so lange so abwesend war. Zwei Menschen sind dabei sich zu trennen, Lynn und Hans, beide Musiker; Gewalt in der Ehe soll es gegeben haben. Lynn engagiert in einer Bar zwei ziemlich schräge Frauen (deren Beziehung durchaus auch nicht friedlich ist), die dem Gatten die Leviten lesen sollen im rabiaten Underground-Sprech der Zeit – tatsächlich allerdings zerreißen sie den Mann, szenisch in Wiesbaden hinter dem weißen Sofa und ganz ohne Blut – Beine und Arme kommen in die Waschmaschine. Morde wie diesen gibt’s sonst nur im Theater der Antike, etwa bei den „Bakchen“. Das ist eine der Strauß-Referenzen.
Wir sind aber im Theater, alles ist nicht so gemeint – und darum ist der Herr Haus gleich nach der Zerreißung wieder wohlauf – die Geburtstagsfeier für Frau Lynn ist auch ein Versöhnungsangebot. K und M, die punkigen Killerinnen an Sofa und Waschmaschine, sind längst zu Stützen der liberalen Gesellschaft mutiert und feiern mit; und nur dieser obszön witzelnde Herr Kalldewey stört. Niemand kennt ihn, niemand hat ihn eingeladen, aber als einziger hat er ein Piccolöchen als Geschenk mitgebracht. Im dritten Akt begegnen wir dem vertrauten Personal dann in einer Art Therapie-Kommune. Hier spielen die Frauen und der Mann die Beziehungskonstellationen durch, in denen sie gefangen sind; sie lärmen auch durch eine fiktive TV-Talkshow, die sehr entfernt an die von Vivi Bach und Dietmar Schönherr vom Beginn der 70er Jahre erinnert. Und wie im Pro-, so sind Hans und Lynn dann auch im Epilog wieder mit Trennung beschäftigt – noch immer, auch weil niemand das letzte Wort behalten will.
Optische Kontraste
Bühnen- und Kostümbildner Friedrich Eggert steuert im Finale eine besonders überzeugende Pointe bei, die deutlich über Strauß hinaus weist: jenes Design aus schwarzen und weißen Punkten und Flächen, das zuvor schon sehr spektakulär den Raum beherrschte, haben alle Ensemble-Mitglieder auch hauteng unter all den quietschbunten Klamotten getragen, und in den Punkte-Kostümen können sie nun praktisch unsichtbar werden vor den Punkte-Kulissen. Überhaupt spielt Mottl intensiv mit Farb-Kontrasten, und die rosa Pumps von Fräulein Meret, dem gewendeten Punk, zeichnen sich auf das Allerschärfste ab. Das Ensemble stürzt sich in den schrillen Wahnsinn der Farce, mit Mut und Übermut: Sybille Weiser und Christian Klischat als Trennungs-Paar, Evelyn M. Faber und Lina Habicht als Punk-Pendant. Felix Strüven ist der jenseits der Sprache völlig unauffällige Titel-Antiheld, Jan Diener ist als Kellner und (unsichtbarer) Chef im Einsatz.
Und: Ja, die Wiederbegegnung lohnt; vielleicht, weil sie nichts mehr hat von all der schwergeistig-schwülstigen Bedeutungshuberei, die Strauß vor vierzig Jahren umgab. Weil all das so weit weg ist, kann es wieder nahe kommen.