Foto: Nanine Linnings "Endless" am Theater und Orchester Heidelberg. Lea Dubois, Wessel Oostrum © Kalle Kuikkaniemi
Text:Bettina Weber, am 9. Dezember 2013
Zurück zum Mikrokosmos der menschlichen Gefühlswelten: In „Endless“, Nanine Linnings zweiter Heidelberger Produktion, die zugleich den dritten und letzten Teil einer Trilogie (zusammen mit „Voice Over“ und „Zero“) markiert, rückt der Blick ganz nah an den Menschen. Zuvor noch mit weit ausblickenden Themen wie gesellschaftlichen Krisen, (makro-)kosmischen Bezügen und Apokalyptik beschäftigt, zoomt sie in „Endless“ so dicht wie möglich an den Menschen heran: Beziehungen, Trennungen, Liebe, instinktive Bedürfnisse und die Bestimmung der eigenen Person in den Koordinaten der Gesellschaft sind Parameter, denen die Choreographie auf intensive Art nachzugehen sucht. Und weil Emotionen eben so schwer zeitlich zu bestimmen sind, liegen dem Stück „endlose“ Weiten zugrunde und sprechen die ganze Gesellschaft an. Fast wie eine Aufforderung wirken die Bilder, die sie zeigt: Seht her, erkennt ihr euch darin?
Gefühlswelten – da sind klischeehafte Assoziationen nicht weit. Doch Linning erzählt keine platten Geschichten, sie lässt in ihren mittlerweile abstrakter gewordenen Arbeiten viel Interprationsspielraum, ohne belanglos zu werden. Eine dramaturgisch sinnvolle Dramatik erzeugt derweil die zugespielte Musik von Arvo Pärt, Joep Franssens and Hendryk Mikolay Górecki.
Nanine Linning entwirft mit Vorliebe ganze Raumkonzepte und übertritt mit spielerischer Leichtigkeit die vermeintlichen Grenzen der Sparte Tanz: Modedesign (wiederum hat Iris van Herpen die Kostüme entworfen), aber auch Videokunst (Roger Muskee) und Lichtdesign (Loes Schakenboes) zieht sie zur Visualisierung ihrer Installationen heran. Übergroße Nahaufnahmen der Augenpartien der Tänzer; Hände, die um die großen Gesichter auf der Leinwand greifen, holen den Zuschauer heran; Schatten und Lichtwechsel, dreidimensionale Videoaufnahmen in Parallele zum Bühnengeschehen verstärken perspektivisch den Ausdruck der Bewegungen und entwickeln eine große, suggestive Kraft.
Das Kollektive, ja fast Organische liegt der Choreographin außerdem besonders. Während die letzte Choreographie „Zero“ vor allem Ensembletableaus zeigte, fokussiert „Endless“ thematisch konsequent stärker die Duette, die einen großen Teil des Abends ausmachen und mit großer Genauigkeit erarbeitet worden sind. Diese Zweierkonstellationen sind sehr ausgedehnt und mögen vielleicht zuweilen einen etwas langen Atem erfordern. Aber sie steigern sich konsequent und leben wiederum von diesen organisch-engen, „Linning’schen“ Entwürfen, in denen Bewegungen synchron und doch gegenteilig, variierend zusammengefügt sind. Vielleicht sind die Bilderwelten, die Linning hier schafft, nicht ganz so wuchtig und opulent wie in vorherigen Choreographien. In „Endless“ geht es reduzierter zu. Dafür entstehen tief gehende ästhetische Eindrücke, die weder starr sind noch standbildhaft, sondern biegsam bleiben und Interpretationsspielraum schaffen.