Foto: "Judit" als Kooperation des Theaters "Berg Werz" mit der Schaubude Berlin © Hannah Herzberg
Text:Tim Sandweg, am 25. Februar 2013
Judit sitzt in der Ringbahn und schaut auf das vorbeiziehende Berlin. Sie, eine der wenigen weiblichen Heldinnen des alten Testaments, die nur in den Apokryphen vorkommt. Was sie da eigentlich in der S-Bahn macht, bleibt ein wenig kryptisch, wahrscheinlich ist sie nach dem Mord an Holofernes eingestiegen und hängengeblieben. Lothar Trolle nimmt das Buch Judit als Ausgangspunkt für seine neue Textfläche gleichen Titels, greift sich Teile der heiligen Schrift und schlägt Kerben hinein, springt durch die Motive und malt sie aus. Wie er es schon mit der Weihnachtsgeschichte in „Leuchte Berlin, leuchte!“ umsetzte, fügt er der biblischen Handlung rahmende Ergänzungen hinzu, die sich mit dem jüdischen Glauben im Allgemeineren und Judits Gläubigkeit im Spezielleren beschäftigen. Dieses Mal ist die Verortung im Heute, in Berlin aber wesentlich zurückhaltender.
Regisseurin Wera Herzberg schickt in der Uraufführung des Textes in der SCHAUBUDE BERLIN die drei Textarbeiterinnen Ulrike Monecke, Magdalena Roth und Katrin Heinrich mit ihren drei Papiertüten, gefüllt mit Wasserflasche, Klebeband und weißen Handtüchern, auf die karge Bühne und in das Feld der syntaktisch verschlungenen Sprache Trolles. Der Text ist Zentrum ihrer Inszenierung, das gesprochene Wort Drehpunkt, in großer Klarheit dargeboten, die Arbeit steht und fällt mit den Stärken seiner Vorlage. Die drei in strengem schwarz gekleideten Sprech-Spielerinnen bewegen sich oft rhythmisch, dann wieder aufwallend, mal chorisch und mal solistisch durch den Textfluss, finden immer wieder energetische Punkte, sich in die Sprache hineinzubegeben, suchen auch die komischen Töne. Vielleicht ist die Achtung vor dem Text gerade in der ersten Hälfte des Abends, bevor der Textfluss zur Heldin kommt, manchmal etwas zu groß, vielleicht hätten die Textarbeiterinnen die Belastbarkeit des Sprachwerks auf eine größere Probe stellen können. Insgesamt verhilft die klare Form dann aber doch, die treibende Sprache Trolles zum Glühen zu bringen.
Zum Glück erliegt die Regisseurin nicht der Versuchung, die Vorlage in konkrete Spielszenen aufzulösen. Auch wenn das gesprochene Wort nach und nach Holofernes und Judit gebiert, die Darstellerinnen Zeichen wie Kopftuch oder schwarze Klebebandbärte anlegen, bleibt die Distanz gewahrt. Trolle hält sich in seiner Judit-Erzählung erstaunlich nah am biblischen Vorbild, belässt die Heldin im Zwischenraum der Geschichte und lotst nur selten heutige Anknüpfungspunkte in den Text. Das Wasser, das sich als ebenfalls klares Motiv aus Flaschen getrunken, gekippt, gewaschen auch real durch die Inszenierung zieht, dreht Holofernes den Israeliten ab, die gläubige Judit zieht los, passiert die weiße Klebebandgrenze und vollzieht ihre Mission, den Feldherren zu töten.
Jetzt fährt Judit also S-Bahn, genauso wie die drei Spielerinnen in dem auf eine weiße Gaze projizierten Video. Vielleicht befinden sich die drei auch auf der Suche nach ihrer eigenen Judit, nach ihrem Entwurf dieses kollektiven Bildes, raus aus den Apokryphen. Vielleicht hat jede der drei Generationen, aus denen die Spielerinnen stammen, ihre eigene Judit, vielleicht ist sie verbindendes Element. Ausstieg auf welcher Seite?