Foto: Revolutionärin der Liebe: Ruth Staffa als Isolde in Tilman Knabes Inszenierung am Staatstheater Mainz. © Martina Pipprich
Text:Detlef Brandenburg, am 19. September 2011
Für den Regisseur Tilman Knabe ist Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ ein politisch Lied. Und die Zuschauer erleben bei der ersten Premiere der neuen Opernsaison am Staatstheater Mainz durchaus auch ein garstig Lied. Im ersten Aufzug sehen sie kein zeltartiges Gemach auf dem Vorderdeck eines alten Segelschiffes, sondern eher drei Kammern tief im technoiden Inneren eines modernen Kriegsschiffes: Links drängt sich die Mannschaft in militärischer Kampfmontur und mit Tristan und Kurwenal inmitten vor einer Wand aus Monitoren. Die zeigen das Innere des mittleren Raumes, in dem Isolde und Brangäne wie Gefangene gehalten werden. Rechts hält auf einem Gang ein Posten mit MP im Anschlag Wache vor Isoldes Kammertür. Die irischen Edelfrauen sind offenbar nicht freiwillig an Bord und werden streng überwacht. Das ist eine krasse Aktualisierung – aber durchaus eine Aktualisierung dessen, was das Libretto verhandelt. Denn nach Tristans Sieg über Morold ist Isoldes bevorstehende Heirat mit dessen Lehnsherrn Marke das Unterpfand der Urfehde zwischen beiden Reichen. Dass Tristan sie an seinen Herrn verschacherte und als treuer Held Ehre einlegte, nachdem sie in ihm den Mörder Morolds gesund gepflegt und damit ihr Land verraten hatte, ist für Isolde eine tiefe Demütigung. Ihre Hochzeit mit Marke ist das erzwungene politische Opfer der Unterlegenen. Und genau so, das zeigt Tilman Knabe gemeinsam mit seiner Kostümbildnerin Beatrix von Pilgrim und der Ausstatterin Kathi Maurer in krasser Deutlichkeit, werden die Frauen an Bord auch behandelt: roh und hämisch.
Allerdings: Wo Wagner einen geradezu metaphysischen Gegensatz zwischen der unbedingten Liebe und der berechnenden Politik konstruiert, da will Tilman Knabe zeigen, dass auch die Liebe eine politische Qualität hat. Schon den Liebestrank deutet er als intrigante Manipulation Isoldes: Nachdem sie zuvor die fatale Flasche mit dem „starken Zeichen“ in die Überwachungskamera gehalten hatte, ersetzt sie im letzten Moment den Trank durch Wasser. Brangänes Trankvertauschung wird damit gegenstandslos, aber das Placebo wirkt genau wie von Isolde beabsichtigt: Tristan, der glaubt, den Todestrank zu trinken, löst sich von allen Bindungen und offenbart ihr seine Liebe – und das ziemlich umstandslos: Die beiden wälzen sich binnen Kurzem in der Koje. Die Liebesnacht des zweiten Aktes vollzieht sich dann im edelholzgetäfelten Regierungssaal des Militärdiktators Marke. Wenn Brangäne ihre erste Mahnung „Habet acht…“ singt, führen in einer Alptraum-artigen Sequenz Markes Soldaten Palästinenser-Frauen herein (auch Brangäne und ganz zu Anfang Isolde tragen Kopftücher) und töten sie. So erscheint der beschworene Liebestod als Kontrafaktur des politischen Mordes. Und tatsächlich: Die Frau erstehen wieder auf, haben plötzlich Laptops unter ihren flink schreibenden Fingern, ein Fotokopierer wird gefüttert, Flugblätter fliegen. So macht Tilman Knabe aus Tristans und Isoldes Liebe eine revolutionäre Bewegung: Nachtgeweihte aller Länder, vereinigt euch!
Das ist natürlich ziemlich gewagt, weil diese Liebe nach Wagners Intention vollkommen inkommensurabel in Bezug jede politische Haltung ist, sei sie nun affirmativ oder revolutionär. Zudem beschädigt Knabe mit seinem Aktionismus immer wieder das fragile Mysterium der „Tristan“-Musik, vor allem dort, wo er Markes Trauer und Verzweiflung über Tristans Verrat als verlogene politische Pose deutet, mit der Marke, immer wieder vom Gelächter seiner Gefolgsleute unterbrochen, Tristan zynisch bloßstellt. Da wirkt dann vieles doch krampfig um Überdeutlichkeit bemüht, weil es vom Werk selbst nicht wirklich getragen wird. Und manches, wie der angedeutete Clash of Civilizations oder auch die Ballerei zwischen Markes und Tristans Mannen, ist nur unbedacht draufgesetzt, aber nicht wirklich entwickelt.
Dem neuen Mainzer GMD Hermann Bäumer gelingt es trotz einiger Wackler und Nuscheleien im Orchester, sowohl die emotionalen Aufwallungen wie auch die kammermusikalischen Feinheiten der Partitur zur Geltung zu bringen und beide Extreme durch weitgespannte Entwicklungen zueinander in Beziehung zu setzen. Und die Sänger fügen sich famos ein in diesen reichen Ausdruckskosmos. Hier beeindruckt vor allem Alexander Spemann als Tristan, der zwar mit etwas gepresstem Forte beginnt und im Piano immer mal wieder etwas brüchig klingt, der sich aber im zweiten Akt freisingt und die mörderische Kraftanstrengung der Fieberphantasien im dritten mit beeindruckender Kondition und Gestaltungskraft übersteht. Ruth Staffa, neu im Mainzer Sängerensemble, ist eine ausdrucksstarke Isolde: im Piano zwar etwas dünnzittrig und im hohen Forte manchmal schrill, aber sehr profiliert in der Charakterisierung. Kraftvoll und vielschichtig in den Ausdrucksvaleurs legt auch Patricia Roach ihre bemerkenswert gute Brangäne an. Und Heikki Kilpeläinen singt einen markanten Kurwenal, während Hans-Otto Weiß als Marke etwas stereotyp und schwammig in der Linienführung bleibt. Am Ende begeisterter Applaus und für Tilman Knabe und sein Team neben einigen kräftigen Buhs auch viele Bravos. Alles in allem kein schlechter Auftakt also für die Opernsaison in Mainz unter der neuen Operndirektorin Tatjana Gürbaca.