Foto: Sarah Aristidou (Pinocchio) mit den Puppenspielerinnen Leonie Euler (l.) und Emilia Giertler © Giovanni Bresadola
Text:Andreas Falentin, am 1. März 2021
Ein einfaches Stück wollte Lucia Ronchetti schreiben. „Pinocchios Abenteuer“, 2015 entstanden, sollte auch auf der Straße aufgeführt werden können. Nur eine Sängerin, nur fünf Musiker. Auf der Straße verweilen die Menschen auch schon mal nur einen Moment, deshalb muss hier jeder Augenblick für sich stehen, jede kleinste szenische und musikalische Szene die Aufmerksamkeit bannen können. Es geht also nicht darum, Carlo Collodis italienisches Kunst-Nationalmärchen rund und stimmig zu erzählen, sondern in jedem Moment von seinem Kern auszugehen, von dem Kind – dem Stück Holz – das Mensch werden will. Und das gelingt der Komponistin mit einer ungeheuer variantenreichen Klangpalette. Da wird sich kreuz und quer durch die Musikgeschichte gejazzt und gleichzeitig ist der Ronchetti-Stil erkennbar: die so eleganten wie gnadenlosen Tonreibungen, die Lautstärke nicht benötigen, um dem Ohr weh zu tun und sich doch in es hineinschmeicheln; und der angenehm freischwingende Humor.
Die Staatsoper Unter den Linden lässt „Pinoccios Abenteuer“ – wie auch in diesen Zeiten? – nicht auf der Straße spielen, sondern im alten Orchesterprobensaal des Hauses oder besser: am Stream-Bildschirm. Was in diesem Fall sogar mehr als üblich zu bedauern ist. Denn Swaantje Lena Kleff schafft, das verrät der Film durchaus, eine überaus intensive Theateratmosphäre ist.
Nacht ist es auf der Bühne von Friederike Lettow. Hinten ein ein paar schwere Vorhänge, davor führt eine Holztreppe auf eine Brettl-Bühne. Es gibt eine Werkbank, die auch Ofen ist, ein paar Tücher. Sonst nichts. Aus dem Dunkel entsteht Pinocchio gleich doppelt, als Puppe und als Sängerin. Viel haben die Puppenspielerinnen Leonie Euler und Emilia Giertler zu tun, spielen Puppen von Fuchs und Kater und erfinden die Fee mit den blauen Haaren in Lebensgröße. Dazu spielen die drei Musikerinnen und zwei Musiker nicht nur Violine, Cello, Kontrabass, Horn und Schlagzeug, sondern auch mit, hören zu, sind jederzeit dabei. Und Adrian Heger koordiniert und erhält die Lebendigkeit.
Was vielleicht nicht stimmt, ist der erzählerische Bogen. Aber den will, wie oben beschrieben, das Stück nicht und die Regisseurin folgt hier konsequent. Es bleibt Nacht auf der Bühne. Pinocchio ist allein in einer Welt der Gefahrinnen. Orientierung, Aufklärung, Licht, ist unglaublich schwer zu finden. Das Schicksal der Aufführung liegt in der Frage beschlossen, ob Pinocchio das junge (und alte) Publikum bewegt. Und dafür steht Sarah Aristidou. Die junge französische Sängerin ist nicht nur der einzigen – und hochanspruchsvollen – Gesangspartie mühelos gewachsen; sie transportiert auch den gesprochenen Text auf hohem schauspielerischem Niveau; und sie interagiert fast fanatisch mit den Puppenspielerinnen und dem Instrumentalquartett, so dass man wirklich ein Ensemblestück erlebt. So wird die alt bekannte Geschichte, vom Holz zum Menschen, hier nicht neu erzählt. Aber sie wirkt in keinem Moment alt.