Foto: Video Killed the Theatre Star: Szene aus Helene Hegemanns Inszenierung der Oper "Musik" nach Frank Wedekind. Video: Kathrin Krottenthaler © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 8. Dezember 2013
Das größte Problem ist die Musik. Michael Langemanns Komposition kennt Wagner-Pathos und Strauss-Dekadenz, Alban Bergs Aggressivität und Linienführung und Benjamin Brittens introvertierte Lyrismen. Geschickt werden die Idiome ineinander geschoben oder übereinander gelegt, aufgehübscht mit monströsen Glissandi und niedlichen Percussionseffekten. Einen eigenen Himmel aber kennt diese Musik nicht. Nicht mal ‘ne Wolke.
Die 21-jährige Helene Hegemann dagegen hat ihren Wedekind gut gelesen. Sie findet überraschend viel nicht Gealtertes in der Dreiecksgeschichte um einen Musikprofessor, seine Frau und seine gleich zweimal geschwängerte Schülerin Klara und schafft es mit klugen Kürzungen und Modernisierungen des Textes, Wedekinds ambivalenten Blick auf die bürgerliche Gesellschaft – als Heim wie als Arrestzelle – ins Heute fortzuschreiben. Die Librettistin und Regisseurin in Personalunion unterwirft sich zwar der Grundkonstellation von Wedekinds Handlung, erzählt jedoch kaum eine Geschichte, sondern liefert eher eine Zustandsbeschreibung ab. Mit Film- und Bildprojektionen, Dancefloor-Tänzern und skurrilen Bühnenbildelementen setzt sie auf verschiedenen Ebenen von einem wild zusammengeklaubten Zitatenteppich zusammengehaltene, verbrauchte Bilder ein – und schafft es im Verlauf der Aufführung immer besser, diese auch als verbraucht zu markieren. Dem von Walter Kobera mit schöner Gelassenheit angeleiteten Gürzenich-Orchester fällt dabei die Rolle eines Soundtrack-Produzenten zu.
Rein handwerklich klappt vieles – noch? – nicht. Mal zerfällt der Abend in seine Komponenten. Mal fragt man sich, ob klassischer Gesang in der gewählten Ästhetik wirklich einen Ort hat. Mal ist die inszenatorische Absicht zu spüren, kommt aber nicht zum Tragen. So werden die durch eine Lichtskulptur behaupteten Verweise auf das Entstehungsjahr in keiner Weise produktiv. Vor allem aber sind die langen Sprechpassagen inszenatorisch nicht bewältigt. Henryk Böhm und, besser, Gloria Rehm spielen für Opernsänger auf hohem Niveau, kommen aber gegen die Star-Schauspielerin Judith Rosmair naturgemäß nicht auf – und bekommen wenig Hilfen von der Regisseurin.
Was für den Abend einnimmt, ist seine Frische, seine Heutigkeit. Hegemann zeigt anhand der überkommenen Dreiecksgeschichte intensiv eine von Besitz und Geilheit regierte Welt mit um sich selbst kreisenden Menschen. Erschreckend oberflächlich sind die Beziehungen. Sachlich, dinglich, leer ist alles, was vom ausgezeichnet singenden Henryk Böhm ausgeht. Über der deftig ausgepinselten Erotik zwischen den beiden Frauen hat die Regisseurin ein unsichtbares Schild mit der Inschrift „Achtung, billig!“ aufgehängt. In der Klara, die Gloria Rehm im Gesang und besonders in den Filmpassagen hinreißend verkörpert, stellt Hegemann ihre eigene Generation plastisch auf die Bühne. Da steht ein Mensch mit überraschend großem Selbstbewusstsein, aber ohne viel Fundament, mit viel Selbstgerechtigkeit und noch mehr Selbstmitleid. Und fährt am Ende mit dem Bus weg. Nachdem er durch die Hölle gegangen ist – oder vielleicht nur einen Rausch erlebt hat.
Vieles an diesem Abend, die devoten aber halbherzigen Verbeugungen vor der Popkultur, die kokette Sehnsucht nach Coolness, nach Punk, nach Intellektualität, nach Idolen und danach, selbst Idol zu sein, wirkt spätpubertär altklug. Aber eben auch kraftstrotzend und – hier ist das Unwort einmal ganz am Platz – authentisch. Und das schadet ja bekanntlich nie, besonders nicht, wenn man jung ist und viele Regeln noch nicht kennt, oder nicht kennen will. Vielleicht ändern die sich ja doch noch mal.